Wir haben gestern vermutlich die aggregierte Wucht und Denktiefe der zukünftigen Bundesregierung in vorauseilender Assistenz besonders kritisch ambitionierter Starjournalisten erlebt. Der Fokus galt der Frage, wie man die Diskursverschiebung zu unterkomplex und hilflos bedienten Migrationsfragen fortsetzen kann. Wem das kraft- und inhaltlose Mikrogesabber dazu wohl nutzen mag?
Ich will hier gerne rein exemplarisch (!!) mal auf nur ein anderes Thema hinweisen: Der CO2-Preis.
Meine Wette lautet nämlich, dass alleine der viel mehr Potenzial hat, die Menschen in den nächsten Jahren real zu belasten und sofern die dann auch mal mehrheitlich ihr Hirn nutzen, sogar zu beschäftigen. Kam aber gestern nicht vor. Wie Trump nicht vorkam. Wie die Sicherheitslage Europas nicht vorkam. Wie China nicht vorkam. Wie Digitalisierung nicht vorkam. Wie jeder Hauch von Moderne nicht vorkam. Eine Fundgrube an Nichtvorkommen. Die Schürfrechte möchte man haben.
Aber exemplarisch nun zum CO2-Preis. Der wurde so 2014 konzipiert und von den Europäern vereinbart. Von allen. Grund: Man wusste dann doch, dass es ökonomisch und ökologisch unverzichtbar ist, zu elektrifizieren. Importabhängigkeit, Preise, Lieferbeziehungen, Energieeffizienz, Standortfragen, globaler Wettbewerb. Es war tatsächlich den wenigen Denkern klar, dass gerade Europa Zukunft (und die des Klimas sowie der Migration) nicht darin bestehen kann, fossile Stoffe für dreistellige Milliardenbeträge zu importieren, um die hier zu verbrennen. Es war sogar klar, dass die Chinesen den Weg auch erkannt haben und gehen werden. Deren Zehnjahrespläne sind damals verkündet worden. Man hörte auf ein paar Fachleute, die erklärten, dass allenfalls die Amerikaner da etwas langsamer vorgehen können, was die aber sogar unter Trump I beginnend und mit Biden beschleunigend gar nicht taten.
Nun ist das Konzept des CO2-Preises mal wieder so kompliziert, dass die meisten es nicht verstehen. Was man aber jedem erklären darf: Je langsamer ein Land bei der Dekarbonisierung vorwärts kommt und je später es mit dem CO2-Preis reagiert, desto steiler muss der angehoben werden. Genau das wird von allen Regierungen in Deutschland seit 2014: Ignoriert. Daher wurde im Bundestag auch ohne große Debatte die nun in Kraft tretende sprunghafte Erhöhung durchgewunken, still und leise.
In den nächsten Jahren wird das also ein Multimilliarden Umverteilungstopf und das ist wie gesagt auch grundsätzlich richtig so. Verhaltensökonomisch ist es nämlich unstrittig, dass wir Europäer nicht in der Lage sind, uns auf ein schlicht logisches und sinnvolles Verhalten zu einigen und das beispielsweise in Form von Regulierungen zu beschließen. Das wären ja die bösen Verbote. In Asien macht man das natürlich viel effektiver und auch effizienter, nicht nur China, auch die asiatischen Demokratien setzen das konsequent um. Statt dessen ist die ökonomische Variante in Europa, es über Preisanreize zu machen. Das sinnvolle macht man billiger, das ungewollte teurer. Das typische Instrument ist eine Lenkungssteuer wie der CO2-Preis, der zudem beschleunigt genutzt werden kann, um die eine Seite durch die andere zu subventionieren.
In der Theorie.
Praktisch passieren aber viele Dinge und hier ist das besonders „hübsch“: Durch unser Strommarkt-Design (Merit-Order) wird der CO2-Preis, sobald fossile Kraftwerke liefern müssen, auf den kompletten Strompreis aufgeschlagen. Da parallel aber die Gesamtmenge an fossiler Stromproduktion sinkt, ist das Steueraufkommen gar nicht so hoch, wie der Preiseffekt, der auch den nicht-fossilen Strom erfasst. Der Verbraucher zahlt also für den kompletten Strom den CO2-Preis, der kann gar nicht wählen, weshalb der Lenkungseffekt nicht stattfindet. Bei Verbrennern und Gasheizungen wird es hingegen sehr teuer und hier wird auch ein großes Steueraufkommen entstehen. Darauf können die Verbraucher aber nicht so klar reagieren, wenn bei der elektrifizierten Variante der CO2-Preis auch zuschlägt.
Besonders absurd wird es, wenn man sich die Parteiprogramme ansieht. Natürlich geht es nun darum, wie diese Multimilliarden Umverteilungsmaschine eingesetzt wird. Die Union will damit die Strompreise reduzieren, durch Verzicht auf die Stromsteuer und Subvention der Netzentgelte. Fein, man treibt also durch den CO2-Preis zuerst die Preise und dann subventioniert man sie wieder runter. Die anderen Parteien wollen das sozial umverteilen, was durchaus begründet ist. Denn die Sache mit der Lenkung ist so eine Sache. Finanzkräftige Haushalte werden sich um den Preis nicht kümmern und weiter fleißig mit SUVs brettern oder viele Meilen fliegen. Schön wäre es wenigstens, wenn die dabei Steuern zahlen, die unmittelbar zur Senkung von CO2 woanders beitragen. Das ist aber so gar nicht möglich, denn zugleich kann eine junge Familie, die wegen der Mietpreise aufs Land gezwungen wurde, in einem Altbau mit Ölheizung wohnt und sehr viele Wegstrecken fahren muss, den CO2-Preis gar nicht tragen. Investitionen in moderne Technologie oder Betrieb von elektrischen Systemen kann die auch nicht stemmen – kein Kapital, zu wenig Ersparnis wegen zu hoher Strompreise.
Denen soll also geholfen werden, was sozial begründbar ist, im Effekt aber dazu führt, dass böse formuliert der vermögende Vielflieger die Ölheizung der Familie subventioniert. Grandiose Lenkung!
Das erinnert sehr an die sinnfreie „Wummspolitik“ mit den „Preisbremsen“, bei der ebenfalls zweistellige Milliarden von links nach rechts geschoben wurden, nur damit man die nach Saudi Arabien & Co durchreichen konnte. Es erinnert auch sehr an Kardinal Richelieu, der sich sehr um die Volksgesundheit sorgte und sich die Tabaksteuer ausdachte. Als dann weiter so viel geraucht wurde, weil das Volk sich rauchen leistete, freute er sich über die Einnahmen und fand das Rauchen ganz ganz prima.
Was dieses CO2-Aufkommen noch an weiteren Begehrlichkeiten bei Finanzpolitikern erzeugen wird, werden wir wie bei allen diesen größeren Töpfen bald erleben. Bin gespannt, welche Löcher oder Träume damit befüllt werden können. An eine bessere Lenkungsfunktion des Monstrums glaube ich keine Sekunde. Wer das effizient und effektiv machen will, muss sich viel tiefer mit der realen Wirkung befassen und sicherstellen, dass Entwicklung und Nutzung von Elektrifizierung preislich belohnt und die von fossilen Technologien bestraft wird. Außerdem muss man kritisch bewerten, wie viele Verbraucher sich ein „weiter so“ einfach leisten und gar nicht reagieren – vom Moppern über den CO2-Preis mal abgesehen.
Ich habe gestern weder zu diesem, noch zu anderen Themen auch nur näherungsweise etwas von Relevanz wahrgenommen. In den Parteiprogrammen übrigens auch nicht. Dieses CO2-Lenkungsprogramm ist vom Volumen und von seinen Fehlanreizen eines des größten Finanzprogramme der nächsten Jahre – und keiner redet darüber. Aber die „Kosten“ für „Flüchtlinge“, das muss jetzt unbedingt auf den Tisch. Ach ja, so nebenbei wäre es auch nicht verkehrt, dem Volke zumindest mal den tieferen Sinn, der ganzen Lenkung zu vermitteln, statt die zu diskreditieren und sich so unterkomplex um ein Milliarden-Monster zu kümmern, das dabei einen sehr fraglichen Beitrag leisten dürfte.
Insofern freut es mich, dass ich morgen mal wieder zu einer längeren Reise nach Asien aufbrechen kann, um dort mit Leuten zu reden, die etwas gestalten wollen, die genau wissen, was sie wollen und sich dann die dafür geeigneten Instrumente überlegen.