Für Deutschland ist es eine Tragödie, dass mit Christian Lindner ein deutlich unterschätzter Politiker durch das Amt des Parteivorsitzenden sowie die Wahlsymmetrie in einer geopolitischen und geoökonomischen Multikrise großen Einfluss erhielt. Denn was unterschätzt wurde, ist seine umfassende Inkompetenz. Die wurde umso wirkmächtiger, weil er seinen Einfluss nutzte, für sich selbst ausgerechnet das Amt des Finanzministers zu ergattern. Eine „perfekte“ Wahl, denn besser konnte er seine Inkompetenz nicht wirken lassen.
Die eklatante Unterfinanzierung des deutschen Staats, der deutschen Ökonomie und auch der privaten Haushalte war zu Lindners Amtsantritt in Expertenkreisen und in allen relevanten Daten längst sichtbar. Zur fachlichen Einordnung: Diese Unterfinanzierung nennt der stammtischdeutsche Ökonomieexperte „Sparen“. Fachlich ist dieses „Sparen“ nichts anderes als ein degrowth-Programm, welches eben jene „Sparer“ übrigens bevorzugt als linksgründe Ideologie bezeichnen. Nun kam kurz nach dem Start der Ampel aber mehrfaches hinzu, denn mit der neuen Weltlage kam der einzige Mechanismus, der dieses „Sparen“ vorher abhalten konnte, die Erosion der Ökonomie dann doch mal zu erreichen ins Wanken: Der Export insbesondere industrieller hochpreisiger Spitzentechnologie. Der spülte nämlich so viel Wertschöpfung ins sparende Deutschland, überwiegend übrigens aus Volkswirtschaften, die sich dieses „Sparen“ ersparten, dass man sich hierzulande das Sparen leisten konnte.
Jetzt zeigte sich aber, dass die sparsamen deutschen Unternehmen leider auch an der Modernisierung ihrer Technologie gespart hatten, der sparsame deutsche Staat sich die Modernisierung seiner Prozesse und seiner Infrastruktur ersparte. Da passierte aber noch etwas mehr, denn Deutschland hatte sich parallel eine moderne Energieversorgung gespart und so etwas wie eine Verteidigungsleistung gleich mit. Wenn ausgerechnet dann klar wird, dass der wichtigste Energieversorger ein europäisches Kriegsrisiko vor – oder vielleicht gar hinter? – der eigenen Haustüre erzeugt, wären geneigte Beobachter vielleicht zu der nicht so unfassbar schwierigen Erkenntnis gekommen: Das mit dem „Sparen“ war gar nicht so vollendet klug, das lassen wir besser mal.
Zudem: Einige globale Wettbewerber hatten genau das Gegenteil getan, nennt sich nämlich: Investieren. Auch hier eine kurze fachliche Einordnung: Eben dieses Investieren kann man fachlich auch Sparen nennen, während „Sparen“ so etwas wie Angst haben und nichts tun bedeutet. Das nennt der „Sparer“ zwar gerne „Risikominimierung“, aber auch das ist ein Irrtum, denn es ist effektiv Risikomaximierung oder vielleicht noch klarer formuliert Risikosicherstellung.
Kurz: Es war klar, dass die Sache mit dem „Sparen“ die Genese von einer dummen zu einer gefährlichen Ideologie schaffte. Dann aber kam Lindner. Der an der Stelle wenigstens seine Eigeninteressen wahrnehmende Merz, dem ich im Unterschied zu Lindner zutraue, die Sache überblickt zu haben, schoss der Ampel mit der Schuldenbremse direkt ins Mark. Habeck und Scholz traue ich ebenfalls zu, das durchblickt zu haben. Lindner nicht. Dem fiel nichts anderes und kein Millimeter mehr ein, als sich in der Sache festzubeißen. Keine Schulden, alles aus dem Haushalt finanzierbar, wir müssen jetzt endlich mal „sparen“.
Letztlich hat diese Kombination aus dem Merz-Torpedo und der Unfähigkeit von Lindner, damit umzugehen, dazu geführt, dass Deutschland zwei Jahre verloren hat, über einen Abschied vom „Sparen“ systematisch nachzudenken. Denn das ist natürlich alles andere als einfach, viele Kritikpunkte bestehen zurecht. Effizienz und Effektivität beim Einsatz staatlicher Mittel sind schlecht. Eine moderne Haushaltsführung existiert nicht, die Regeln sind veraltet, nicht nur die Schuldenbremse selbst, die Daten und Zahlen sind schlecht, die Auflagen sind dysfunktional, was Investitionen sein sollen, ist strittig, eine staatliche Wirtschaftspolitik funktioniert nicht, Institutionen, die fachlich kompetente Strukturentscheidungen treffen, gibt es kaum. Baut man so etwas auf, macht man es – wie es in früheren Zeiten gemacht wurde – durch strukturierte Steueranreize, so dass die Unternehmen es tun?
Fragen über Fragen, alle berechtigt. Zwei Jahre hätte darüber geredet, debattiert, gestritten und geplant werden können. Statt dessen redet Lindner nur dummes Blech, fährt die Handlungsfähigkeit der Regierung in dieser zentralen Sachfrage auf Eis, wird zum Handlanger von Merz, der genau das erreichen will und gemeinsam stolpern diese strategischen Genies nun in die vorhersagbare Situation, ausgerechnet diese Reform nun im Eiltempo mit genau der Maßnahme, die am Schluss eines seriösen Prozesses stehen sollte, zu beginnen: Man wirft die Schuldenbremse weg – und ersetzt sie durch die Hoffnung, dass man die zuvor notwenigen Fragen hinterher schon irgendwie klären wird.
Nun hat Merz wenigstens gehandelt, statt weiter Blech zu erzählen. Lindner ist endlich weg. Seine Nachfolger auf der Bundesbühne erweisen ihm die Ehre, sich genauso unfähig zu verhalten. Da gibt das Schicksal dieser Luftpumpentruppe die unverdiente letzte Chance, in exakt dieser Debatte dann doch mal was wertvolles beizutragen und die vergeigen auch das noch, indem sie die gähnende Leere ihrer intellektuellen Kraft ein hoffentlich letztes Mal dokumentieren: Die erzählen einfach exakt dasselbe Blech weiter.
Diese FDP muss sich komplett erneuern und ich hoffe weiter, dass sie es schafft. Wie sie mit der ersten, durchaus großen Chance, das zu zeigen, umgeht, lässt leider wenig Hoffnung zu.