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Datenpornos sollte man methodisch korrekt konsumieren

Kurzer Servicepost zur Datenanalyse, hier als Beispiel nur die Diskussion über eine (angebliche?) Tech-Blase am US-Aktienmarkt. Vielleicht auch für alle hilfreich, die wahlweise irgendwelche Höchststände welcher Daten auch immer ganz fürchterlich finden oder diverse Aktien-Crashs als Untergang des Abendlands in Erinnerung haben.

Chart 1 ist so ein typischer Datenporno, sorry, ein von mir erfundener Fachbegriff. Der S&P seit 1950 in linearer Darstellung und die vertikale Auflösung verzerrt. Der Unwissende „sieht“ natürlich sofort, dass das der reine Wahnsinn ist, alles nur noch explodiert und so keinesfalls weiter gehen kann, der Trümmerhaufen steht bevor. Leider aber nur eine Täuschung unseres Gehirns, das mit solchen Daten visuell nicht umgehen kann.

Chart 2 ist meine dringende Empfehlung für so gut wie alle Daten, die irgendwas mit Wachstum zu tun haben, was für die allermeisten zutrifft. Das ist genau dieselbe Datenreihe in logarithmischer Darstellung, die einen exponentiellen Prozess für das menschliche Hirn besser auflöst, indem sie nicht das Wachstum absolut, sondern die Wachstumsrate visualisiert. Ganz grob gesagt: Solange sich in so einer Darstellung ungefähr eine gerade Linie durch die Datenreihe ziehen lässt, ist da ein stabiler Trend erkennbar, der deshalb nicht stabil bleiben muss, aber der eben nichts „eskalierendes“ oder „explodierendes“ bedeutet.

Das ist in Chart 3 für den S&P seit 1990 visualisiert. Das ist die lineare Darstellung ohne Verzerrung in der Vertikalen und den Trick mit der besonders langen Laufzeit. Die blaue Linie zeigt den absoluten Verlauf, die grüne einen glatten Wachstumsprozess mit 8,6% p.a. Wachstumsrate. In Chart 4 ist das erneut logarithmisch dargestellt und man sieht, dass die gebogene grüne Linie zur Geraden wird, das ist also besagter Trend, der in so einer Darstellung sichtbar wird.

Das lässt sich nun genauer hinsichtlich der „Crashs“ untersuchen. Man sieht, dass vor der jetzt wieder diskutierten sogenannten „Dotcom-Blase“ tatsächlich ein starker Ausbruch nach oben stattfand, dessen Korrektur mit einem Einbruch von 49% dann aber nur auf die lange Trendlinie zurück führte. Das gilt heute als der ganz große Crash, was aber nicht stimmt, denn es war eigentlich eine Korrektur. Die Finanzkrise – in den typischen Charts viel kleiner ausgeprägt – war aber der tiefere Einbruch um 57% und der führte zu einer mehrjährigen Unterschreitung des langen Trends. Das war also die weit tiefere Krise. Corona ist kaum sichtbar und der heutige Stand ist keineswegs „explodiert“, sondern im Gegenteil im sehr langfristigen Trend.

Das zeigt nicht mehr und nicht weniger als einen sehr lange stabilen Trend mit den genannten Abweichungen. Ob dieser Trend nun so fortsetzt oder nicht, besagt es nicht, aber es korrigiert das erste Bild deutlich, denn bisher ist das eben nicht außergewöhnliches, sondern die Norm der letzten 35 Jahre. Das ist zumindest mal eine komplett andere Aussage.

Daher muss man sich solche Daten ganz anders anschauen und die einordnen bzw. in Relation zu anderen setzen. Das gilt neben dem Hinweis zu logarithmischen Darstellungen ebenfalls immer. Kaum eine Datenreihe ist singulär aussagekräftig, es geht immer um Relationen zu anderen. Zur Anlegersicht wäre Chart 5 interessant, das ist der inflationsbereinigte S&P. Hier sieht man im Unterschied zum absoluten Verlauf, dass Anleger von Ende 70er bis Mitte 80er in Kaufkraft gerechnet sogar Verluste machen. Seit den 90ern, also dem stabilen 8,6% Wachstumstrend ist der inflationsbereinigte Wert ca. 6%.
Das war also seitdem eine sehr gute Anlage, denn nach Inflation ist so eine jährliche Rendite ansehnlich. Diese Daten sind zudem alle ohne Dividenden, die ca. 2% p.a. ausmachten. Der S&P ist nämlich ein Kursindex ist, der nur die Aktienkurse und nicht die Ausschüttungen berücksichtigt. Anders beispielsweise beim DAX, weshalb der keineswegs so gut aussieht, wie er aussieht. Das aber nur nebenbei als weiterer Hinweis zum Thema Datenanalyse.

Soweit also die Klarstellung, dass aus den Daten selbst kein exzessiver Trend, sondern sogar ein gerade aktuell sehr stabiler abzulesen ist, der tatsächlich auch im Vergleich zur Inflation eine sehr gute Anlage bestätigt. Die Frage ist natürlich, ob er anhält. Dazu sei klar gestellt, dass ich es nicht weiß und dass ich auch niemandem glauben würde, der behauptet, es zu wissen. Man kann dazu nur weitere Rahmendaten heranziehen. Dazu demnächst mehr.
Hier belasse ich es bei der Feststellung, dass dieser Datenporno ganz im Gegenteil zu der oft zu beobachtenden Unsitte, exponentielle Prozesse falsch darzustellen, bisher das Gegenteil beinhaltet: Ein sehr stabiler Trend, der sogar aktuell keinerlei Übertreibung zeigt, sondern sich ausnahmsweise im Normalzustand der letzten 35 Jahre befindet.
Ich hoffe, dass sehr viele dieses Ergebnis bei einer Betrachtung des ersten Charts überraschend finden und das zum Anlass nehmen, beim Konsum von Datenpornos zukünftig vorsichtiger zu sein.

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