eucken

Ein 2025er Erhard wäre besser als naive Milei-Schwärmerei

Zur „Verbrennerdebatte“ hatte ich in den letzten Wochen einige Datenanalysen (Markt hat längst entschieden) und politische Bewertungen bis zur Rolle der AfD veröffentlicht. Trotz der unterschiedlichen Stile und Ansätze gab es zwei Reaktionsmuster, die leider dieses so wichtige Thema enorm belasten.

1) Die, ich entschuldige mich nicht für den Begriff, postpubertäre Fraktion meint trotz Breite und Tiefe des Themas sei es hoch relevant, darüber zu debattieren, ob man das mit „Verboten“, genauer einem „Verbrennerverbot“ machen solle. Die freundlichere Argumentation lautet noch, der Verbraucher solle die freie Wahl haben und die Unternehmen sollten sich danach richten dürfen. Die mit stärkeren politischen Kampfbegriffen hantierenden kommen mit Staatseingriffen in die Wirtschaft, Planwirtschaft, Sozialismus und den bekannten parteipolitischen Beschimpfungen.

2) Die eher ökonomisch kausal Argumentierenden sprechen sich dafür aus, die weiter existierenden Verbrennermärkte müssten der deutschen Industrie offen bleiben, um diese für den Transformationsprozess noch auszuschöpfen. Die Regulierung der EU und der Ampel-Regierung behindere das und sei daher verantwortlich für die Lage der Industrie. Hier kommen in der Tiefe dann ebenfalls die Vorwürfe der Selbstschädigung, ideologisierter Politik, Wettbewerbsnachteile etc.

Was die Fraktion 1) betrifft:
Zur Klarstellung der leider wirklich dummen „Verbote“-Debatte zunächst einige Basics, was eine Marktwirtschaft ist und weshalb wir weit von Modellen der Planwirtschaft, die Teil sozialistischer Modelle ist, entfernt sind. Wir sprechen vorliegend von der Kernaufgabe des Staats, die Elementar dafür ist, dass Märkte überhaupt entstehen und damit die Grundlagen einer Marktwirtschaft existieren können: Regulierung. Dieser einzig korrekte Begriff definiert Rahmenbedingungen, Normgebung, Gebote und auch direkte Verbote, obwohl die implizit in ALLEN Regulierungen stehen, denn was nicht explizit erlaubt ist, wird implizit insbesondere bei der Rahmensetzung für Märkte verboten. Wer also „keine Verbote“ postuliert, bewegt sich nicht mehr innerhalb des Modells der Marktwirtschaft und darf zunächst mal klarstellen, was er auf der Systemebene eigentlich meint. Viel Spaß dabei!

Korrekt ist, dass wir in unseren demokratischen Systemen entschieden haben, die Inhalte der Regulierung in demokratischen Entscheidungsprozessen festzulegen. Wir bewegen uns also innerhalb einer demokratischen Marktwirtschaft, indem wir über die Art der Regulierung streiten, nicht mehr, indem wir diese generell ablehnen. Das erlaubt selbstverständlich die Frage, ob die vorliegende Regulierung erforderlich oder ob sie sinnvoll gestaltet ist. Wer das aber sachgerecht kritisieren möchte, muss schon über Allgemeinplätze hinaus gehen und konkret begründen, weshalb das nicht der Fall sei. Sonst läuft man Gefahr, nur platte Narrative nachzuplappern, die von Leuten erfunden werden, um lösungsorientierte Debatten zu zerstören.

So ist den Herstellern schon immer ein Rahmen vorgegeben worden, was man Verbrauchern zulassen wird und was nicht. Daher hätten Hersteller zwar von Nuklear- bis zu Raketenantrieben immer alles erforschen, entwickeln und bauen dürfen, aber es hätte dafür keinen Verbraucher gegeben, der eine Zulassung für so etwas erlangte. Insofern wurde auch Verbrauchern schon immer implizit vorgeschrieben, was sie wählen dürfen und was nicht. Auch im Kleinen bis Kleinsten sind sogar sehr Tief alle Formen von Verbrennern eher durch Tausende, denn durch Hunderte Regulierungen sehr klar geregelt, was implizit vermutlich zehntausende „Verbote“ umfasst. Je komplexer die Technologie, desto mehr „Verbote“, sonst kommt davon nämlich genau gar nichts auf so etwas wie einen „Markt“.

Und, nicht weitersagen: Die allermeisten dieser Regulierungen werden von „der Wirtschaft“ selbst geschrieben, weil die gewollt, notwendig, unverzichtbar sind und selbstverständlich auch deren Interessen dienen.

Es mag zwar dem – an der Stelle wieder der harte Begriff – kaputten Freiheitsverständnis vieler Schmerz zufügen, aber dieses simple Bildchen von der freien Wahl der Verbraucher nach deren Gusto, worauf sich so vollkommen frei die Unternehmen ausrichten, hat es nie gegeben. Nicht mal bei Erdbeermarmelade. Das ist ohnehin naiv, denn vom Einfluss auf Regulierung bis zu geschicktem Marketing ist diese Wirkungskette eher umgekehrt besser beschrieben: Wenn wir hier von Entscheidungsfreiheit sprechen, dann entscheiden Unternehmen, was Verbraucher kaufen.

Damit sachgerecht zur ordnungspolitischen Bewertung dieser konkreten Regulierung: Es handelt sich um die Regulierung schädlicher Emissionen, was nun wirklich niemand ohne Wissenschaftsleugnung per se für falsch halten kann. Es gibt kein Technologieverbot, das ist sachlich falsch. Die Minderung dieser Emissionen – hier CO2 – ist im Rahmen mit anderen – man erinnere sich an COx-Debatten – schon seit Einführung von Verbrennern zunächst komplett normal. Dabei wurden auch viele Emissionen vollständig verboten, andere auf Maximalmengen begrenzt, was ebenfalls normal ist, wie das auf diverse toxische Stoffe zutrifft. Es ist auch falsch zu behaupten, das sei überraschend oder vorschnell gemacht worden, denn das Ziel, eben jene Emission von CO2 irgendwann auf Null zu reduzieren, war stets klar und als der Schritt für 2035 dann kam keinerlei Überraschung.

Die wirklich einzige sachlich mögliche Debatte kann daher nur der Frage nach dem Datum gelten. Alle anderen müssen schon die Endlichkeit fossiler Stoffe und deren Schädlichkeit zugleich leugnen oder sich dem unwirtschaftlichen Unfug der E-Fuels hingeben. Hier sind wir auf der freien Meinungsebene und als Meinungsbeitrag biete ich an: Ein seit 2015 rückläufiges Produkt (Verbrenner jeder Art), technologisch hoffnungslos und ökonomisch signifikant unterlegenes Produkt „darf“ man ab 2035 durch regulatorische Nachteile belasten, ohne sich dem Verdacht auszusetzen, das sei unangemessen. Das ist nämlich eine der guten Gegenreden, wenn es um Regulierung geht: Die Unangemessenheit, meist belegt durch Nachteile für berechtigte Interessen. Die sehe ich persönlich hier ab 2035 nicht, da muss kein Hersteller mehr darauf setzen können, dass ein Verbraucher in Europa eine Zulassung für einen neu gebauten Verbrenner bekommt.
Nebenbei sind die Verbraucher beim Bestand ihrer heiß geliebten Verbrenner hier maximal geschützt, denn bekanntlich gibt es für die keine Einschränkung. Was mal zugelassen wurde, wird weiter zugelassen. Das kennt man in anderen Segmenten durchaus schärfer.

Damit zu Fraktion 2), die behauptet, die europäische Politik schädige die Automobilindustrie:
Das ist – erneut keinerlei sorry – real lächerlich. Ganz im Gegenteil hat sich die europäische Politik den Interessen dieser Industrie in besonderem Maße hingegeben, die deutsche Politik war dabei nochmals mehr bemüht. Das kann man übrigens inzwischen durchaus als Fehler identifizieren, besser hätte man sich mit der mal kräftig angelegt. Man darf den Dieselskandal wohl als Kipppunkt dieser Strategie betrachten, denn das war der erste Fall, bei dem die Europäer und ganz persönlich die deutsche Kanzlerin in einem der beiden wichtigsten Exportmärkte, in den USA, vor die Wand gefahren wurden. Es gibt Gründe, weshalb die Kanzlerin damals sehr brüskiert auf den Betrug reagierte. Das war das erste geoökonomische Scheitern der globalen Lobbypolitik europäischer Politik PRO eigener Industrie. Die Wahl der Technologie, die man hier etablieren wollte, traf die Industrie, nicht die Politik.
Denn, weitere harte Erkenntnis für manche „Freiheitsdenke“: Die Industrie denkt und arbeitet alles andere als technologieoffen. Auch Märkte sind nicht per se innovativ. Sie können das ebenso sein, wie sie es oft sehr konkret verhindern.

Die zweite, viel wirkmächtigere politische Entscheidung ist gar nicht in Europa, sondern in China gefallen: Die im Rahmen der Fünfjahrespläne sogar komplett transparent und öffentlich verkündete Strategie, mit der Batterietechnologie sowie der Elektromobilität eine strategische Industriepolitik zu verfolgen, die nationale Ökosysteme in beiden Segmenten aufbaut. Auch die Ziele waren öffentlich: Nichts geringeres als die Dominanz Chinas beginnend auf dem nationalen Markt und dann ausrollend auf den Exportmärkten. Der Fehler der europäischen Industrie und das – vermutlich aufgrund der an der Stelle erneut verheerenden „Beratungsleistung“ für die Politik – in der Folge auch politische Versagen war: Man hat diese Pläne wohl nicht ernst genommen und es wäre hilfreich, wenn jeder Europäer bis zu den Verbrauchern das sofort spätestens beim Lesen dieses Texts ändert. Und zwar ohne jede Einschränkung, denn diese Pläne rollen wie ein hoch präzises Uhrwerk, das zudem noch die Eigenschaft hat, schneller zu laufen, als geplant.

Wer also im Jahr 2025, ganze zehn Jahre nach dem ersten dieser Fünfjahrespläne und den vielen weiteren Daten zur E-Mobilität behauptet, die europäische Industrie brauche über das Jahr 2035 hinaus Zeit, um das Geschäftsmodell mit den Verbrennern – in Europa! – auszuschöpfen, hat von disruptiven Transformationsprozessen strategisch, zeitlich, inhaltlich, operativ und ökonomisch fundamental andere Vorstellungen als der Autor dieser Zeilen. Aber der begleitet erst seit 40 Jahren so gut wie alle relevanten Disruptionen.

Zusammenfassung:
1) Formal ist diese Regulierung komplette Normalität innerhalb der Rolle des Staats in einer Marktwirtschaft. Damit bewegt sich die überwiegende öffentliche dümmlich politisierte Debatte außerhalb dessen, was Marktwirtschaft überhaupt ist. Inhaltlich sehe ich keine andere Frage als den Zeitpunkt für diskussionswürdig und gute Argumente, die gegen diesen sprechen, sind mir nicht bekannt.

2) Behauptungen über die Rolle der europäischen Politik und selbst geschaffene Wettbewerbsnachteile scheitern daran, dass die europäische Politik ihre Bedeutung für den Automobilsektor schon längst eingebüßt hat. Wer relevante politische Entscheidungen bewerten und diskutieren möchte, sollte das dringend tun. Dafür ist vor allem die Region Asien relevant, da wie in den meisten Industriesektoren hier mit der Ausnahme eines einzigen US-Unternehmens auch die USA nicht der Innovationstreiber sind.

Fazit:
Wir sehen eine von der europäischen Autoindustrie selbst verursachte strukturelle Krise, weil man zuerst mit dem Diesel die Durchsetzung eines Technologievorsprungs nur mit Betrug versuchte und danach die Fünfjahrespläne Chinas sträflich unterschätzte. Die europäische Politik hat den Fehler begangen, sich zu lange von eben dieser Industrie beraten zu lassen und deren Interessen zu unterstützen. Ich vermute übrigens, dass genau der Fehler sich fortsetzt, denn die dürften alle wissen, dass die Messe des Verbrenners gelesen ist und diese 2035er Regulierung vor allem eines ist: Komplett unwichtig! Man scheint aber den aus meiner Sicht eher kontraproduktiven Plan zu verfolgen, mit solchen Debatten irgendwie Zeit zu gewinnen, um die Transformation zumindest in Europa zu verzögern.

Diese Verzögerungstaktik haben nach meiner Erfahrungen viele Unternehmen in disruptiven Prozessen versucht, gelungen ist das nie. Auch dann nicht, wenn ganze Branchen es versuchten und die Politik dabei hinter sich hatten. Wer mit dem Versuch von „Timing“ in hoch dynamische Disruptionen geht, versäumt zwingend die alles entscheidende Kompetenz, die man dafür braucht: Geschwindigkeit!

Anekdote zum Schluss: Das beigefügte Schaubild stammt aus einer Publikation der Konrad Adenauer Stiftung von 2001. Es geht direkt auf den Kopf hinter der Politik von Ludwig Erhard, Walter Eucken zurück. Es wäre sehr hilfreich, wenn unsere Gesellschaft statt Javier Milei wieder mehr zu den Denkern zurückfinden würde, die sich über diese ihre Architektur gar nicht mehr kennende heutige Generation nur noch schüttern würden. Es geht nicht um „weniger Staat“, es geht um einen im modernen geopolitischen und geoökonomischen Wettbewerb viel besser funktionierenden und leistungsfähigeren Staat.
Wir sollten also darüber streiten, wie wir den fit machen, statt so naiv zu sein, wir bräuchten ihn nicht!

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