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Wenn Wissenschaftslobbyismus und Medienversagen zusammen kommen, bleibt das Wissen endgültig auf der Strecke

Als ich gestern einen engagierten Beitrag meines Gastautors Marcus Ewald mit einer Empfehlung zu einer Petition zur wissenschaftsbasierten Pandemiepolitik unterstützte, dachte ich nicht an die Form von „Wissenschaft“, die heute seitens der Gesellschaft für Aerosolforschung (GAeF) durch die Medien läuft.

Die GAeF betreibt hier aus meiner Sicht primär Wissenschaftslobbyismus und sekundär sachliche Aufklärung. Leider kann auch die Wissenschaft nicht frei von Lobbyismus sein, das muss man an der Stelle ehrlich dazu sagen. Das Ringen um Fördergelder und Forschungsaufträge sowie für die persönliche Karriere die erforderliche Aufmerksamkeit führen bedauerlicherweise zu solchen Aktionen. Nicht wenige Organisationen in der Wissenschaft werden sogar primär zu diesem Zweck gegründet und betrieben.

Bezüglich der GAeF drängt sich dieser Eindruck auf, wenn man die Website etwas genauer studiert. Die Rechtsform der Gesellschaft ist die eines Vereins, in der Satzung (https://www.info.gaef.de/constitution) werden vor allem Finanzen und Mitgliedschaften geregelt. Der Zweck des Vereins ist vergleichsweise kurz formuliert. Hier werden die Förderung der Wissenschaft beispielsweise durch die Vergabe von Preisen und Auszeichnungen an besonders herausragende Wissenschaftler sowie der interdisziplinäre Austausch der Mitglieder genannt.

Dazu möchte ich als kleiner bescheidener Wissenschaftler die Meinung beitragen, dass die Wissenschaft beides nicht seitens eines privat organisierten Vereins benötigt. Auszeichnungen werden durch Hochschulen sowie im Rahmen wissenschaftlichen Diskurses in dafür ausreichend existierenden Publikationskanälen verliehen.

Natürlich macht es Sinn, darüber hinaus Veranstaltungen zu organisieren, um den persönlichen Austausch zu fördern. Das scheint eine wesentliche Aufgabe der GAeF zu sein. Folgt man an der Stelle der Website, so drängt sich aber ein gewisser kommerzieller Eindruck auf, denn die Refinanzierung der Gesellschaft dürfte eben durch solche Events erfolgen, weniger durch die Beiträge der Mitglieder und folglich braucht man dafür zahlende Sponsoren, hier ein Beispiel. (https://www.nanoparticles.ch/2019_ETH-NPC-23_sponsors.html)

Ich kenne mich weder mit der Aerosolforschung, noch mit den dort renommierten Wissenschaftlern aus, daher kann ich die Arbeit dieser Gesellschaft inhaltlich nicht bewerten. Der Auftritt hat für mich den Beigeschmack eines kommerziell refinanzierten Lobbyauftrags. Das ist eine reine Meinungsäußerung, jeder mag sich anhand der genannten Quellen ein eigenes Bild machen.

Unter dieser Perspektive bewerte ich die Öffentlichkeitsarbeit der Gesellschaft nun etwas kritischer und aus eigener Erfahrung weiß ich, dass insbesondere Funktionsträger solcher Organisationen oft rein interessengetrieben agieren und nicht selten eben gerade nicht die ganz großen Koryphäen ihrer Zunft sind – die haben nämlich bekanntlich überwiegend „besseres zu tun“.

Natürlich ist die Covid-19-Krise ein vorzügliches Betätigungsfeld, um mit entsprechenden wissenschaftlichen Graden, Titeln oder Ansprüchen eine große Aufmerksamkeit zu erreichen. Das gilt insbesondere dann, wenn man den dies allzu gerne hochspielenden Medien – ein trauriges Thema mehr – möglichst steile Thesen liefert. Ein von Karl Lauterbach in der letzten Lanz-Sendung nicht mehr namentlich zitierter, sondern mit einem süffisanten Lächeln („der Name ist mir gerade entfallen“) vollauf zurecht „abgewatschter“ Virologe mit einer sagen wir mal sehr singulären und selten zutreffenden „Meinung“ ist das wohl bekannteste und auch unheilvollste Beispiel.

Die GAeF hat in diesem Kontext bereits im Dezember 2020 nun ein zunächst mal vollständig sachliches Paper vorgelegt, in der sie die Ausbreitung von SARS-Cov-2 über Aerosole ausführlich schildert (https://www.info.gaef.de/positionspapier). Diese selbst „Positionspapier“ genannte Publikation ist in mir zugänglichen Wissenschaftskanälen niemals erschienen, wobei ich insbesondere zu dieser Fachrichtung keine besonderen Zugänge besitze. Es mag insofern Foren geben, in denen das Papier diskutiert wird. Diese „Publikation“ Paper erfüllt jedoch grundsätzlich die Kriterien für wissenschaftliches Arbeiten. Aufbau, Herleitungen, Zitierweise, Argumentationen und Schlussfolgerungen sind formal nicht zu tadeln. Auffällig ist jedoch, dass dieses Papier so etwas wie eine Zusammenfassung bestehender Erkenntnisse ist und kein Stück mehr. Ob dieser Wissenschaftszweig so ein Papier zum weiteren Erkenntnisgewinn benötigt, kann ich nicht bewerten. Was aber bereits hier auffällt: Das Papier fordert an wesentlichen Stellen mehr interdisziplinäre Forschung zu Covid-19 und meint damit im Wesentlichen die Einbeziehung der eigenen Zunft.

So läuft die Struktur und Argumentationslinie auf das letzte Kapitel mit dem alles sagenden Titel „Aktueller Forschungsbedarf“ hinaus und auch in der Summary ist genau dieser Punkt der Abschluss: „Aus Sicht der Gesellschaft für Aerosolforschung besteht erheblicher Forschungsbedarf insbesondere an den interdisziplinären Grenzen zu Forschungsfeldern der Epidemiologie, Infektiologie, Virologie, Lüftungstechnik und Strömungsmechanik. Die Durchführung gezielter Studien sollte kurzfristig mit speziellen Förder- und Forschungsprogrammen ermöglicht werden (s. Kapitel 7)“.

Da steht also das Zauberwort, um das es meiner Meinung nach wohl bei der ganzen Initiative der Gesellschaft, wenn nicht der Gesellschaft insgesamt geht.

Nun möchte ich wie eingangs erwähnt an dieser Stelle wiederholen, dass der wissenschaftliche Betrieb ohne solchen Lobbyismus leider nicht auskommt. Das ist bedauerlich, aber aufgrund der Art und Weise, wie Forschung gefördert und finanziert wird, nicht zu vermeiden. Es handelt sich dabei um ein weites Feld, das ich hier nur kurz beleuchten kann, denn diese Diskussion ist uferlos. Die Finanzierung von Forschung, sei es durch staatliche, privatwirtschaftliche oder private Kassen, ist ein großes und kontroverses Thema mit vielen komplexen Fragen, die von wissenschaftlicher Freiheit/Unabhängigkeit bis zur wissenschaftlichen Auftragsarbeit reicht. Aus systemischen Gründen ist jedenfalls ohne Lobbyismus einiges an Forschung gar nicht möglich und daher kann man das zwar auf Systemebene kritisieren, aber nicht grundsätzlich denen vorwerfen, die es gerade tun. Mozart, Beethoven et al. lebten auch durch Auftragsarbeiten, das ist leider in der Wissenschaft auch so und muss nicht unbedingt zu schlechten Ergebnissen führen.

So ist dieses „Positionspapier“, soweit ich es bewerten kann, ausgesprochen wertvoll. Es verweist auf die bekannte Tatsache der primären Ausbreitung von SARS-Cov-2 via Aerosole, begründet damit die Risiken in geschlossenen Räumen, betont die Wirkung von Masken und räumt mit dem Irrsinn der großen Wirkungsweise von Abstandsregeln in Räumen auf. Ferner bietet das Papier viele konstruktive Ansätze, um zu konkreten Verbesserungen durch Lüftungskonzepte und mechanische Lüftung/Filterung von Räumen zu kommen. Und, naja, es muss halt dazu gesagt sein, die vielen oben genannten Sponsoren liefern halt die dafür erforderlichen Produkte. Zweifellos gute, sichere und sehr hilfreiche Produkte – auf die, das soll hier nicht falsch verstanden sein, in keiner Weise konkret hingewiesen wird. Das ist keine primitive pseudowissenschaftliche Produktpromotion, aber die Nähe zur Branche muss sich die Gesellschaft sehr wohl zuschreiben.

Das ändert nichts an der Einschätzung der aus meiner Sicht überragenden Bedeutung des Themas für die Pandemie. Es ist aus meiner Sicht ausdrücklich als Versäumnis zu sehen, dass in diesem Bereich nicht bereits vor einem Jahr wesentlich mehr passiert ist. Ich erwarte als eine positive Folge dieser Krise, dass wir in den nächsten Jahren einen Boom an Investitionen in bessere Lüftung und Filterung aller möglichen Räume in Gebäuden sowie in Verkehrsmitteln sehen werden. Das dürfte große Erfolge in der Bekämpfung alles möglichen Infektionskrankheiten, insbesondere den Atemwegserkrankungen bringen. Insofern ist dieses Papier aller Ehren wert und die Initiative vom Dezember unabhängig von ihrer Motivation aus meiner Sicht vollauf unterstützenswert.

Was die Gesellschaft aber mit Datum vom 11. April 2021 nun unternommen hat, ist jenseits akzeptierbarer wissenschaftlicher Lobbyarbeit. Welche Unzufriedenheit über den eigenen Stellenwert auch immer ausschlaggebend gewesen sein mag, das kann man so nicht machen: Unter derselben oben verlinkten Seite zum Positionspapier schiebt die Gesellschaft einen offenen Brief „an die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Angela Merkel, die Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen der Länder, den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, die Gesundheitsminister und Gesundheitsministerinnen der Länder“ nach. Dieser Brief wurde parallel auf der Website publiziert und an dpa geleitet. Entsprechend findet das Papier „Einschlag“ in die heutige Medienlandschaft und natürlich noch mehr in die sozialen Medien.

Wer ein wenig von Kommunikation versteht – und das setze ich bei der Gesellschaft eigentlich voraus – weiß natürlich genau, was nun passiert. Der Brief prangert vor allem die Pandemie-Politik an und spricht sich explizit gegen spezielle Maßnahmen aus.

Zusammengefasst spricht sich dieses Papier gegen jegliche Maßnahmen im Außenbereich – inklusive der Ausgangssperren – aus und fordert eine Fokussierung auf den Innenbereich. In diesem konstruktiven Teil zitiere ich das Papier mit folgenden Maßnahmen als Alternative zu den bestehenden:

Hier erkennt man jedoch, dass die GAeF ihre eigene Wissenschaft überdehnt und sich in Fragestellungen der Epidemiologie bewegt sowie insbesondere in den Bereich der politischen Entscheidungen auf Basis wissenschaftlicher Grundlagen – und das ist eben NICHT mehr Aufgabe von Wissenschaft, das ist im Gegenteil klar voneinander trennbar, was Streeck et al. leider auch nicht beherzigen.

Dieser, man muss es leider sagen, hilflosen Auflistung von Konjunktiven ist inhaltlich natürlich nicht zu widersprechen. Gewissermaßen wäre wohl wirklich alles gut und Covid-19 im Griff, wenn diese kleine Liste von Konjunktiven umgesetzt würde. Wenn man nun noch die Minderung der Anzahl von Treffen sowie die Minimierung der Personenzahl bei unbedingt erforderlichen – und nur diesen – dazu nähme, so wäre die Liste vermutlich mit allen erforderlichen Zielen vollständig.

Ziele sind aber bekanntlich nicht mit Maßnahmen zu deren Erreichung zu verwechseln und genau dieser Unterschied wird hier natürlich komplett missachtet. Man kann sich auf dem Planeten umsehen, wie man will, aber es ist selbst den Schweden, die das noch am ehesten, aber entgegen vieler Gerüchte keineswegs nur so versucht haben, nicht gelungen, durch Aufklärung plus Lüftungsempfehlungen die Pandemie zu besiegen. Alleine diese leider korrekte Zusammenfassung der mangelhaften Substanz dieses „Briefs“ zeigt dessen Grad an Peinlichkeit auf.

Was nun daraus in den Medien gedreht wird, wirft ein Licht auf eine leider zu häufig komplett versagende Branche. Diese kleine, schnelle Recherche und Bewertung, die ich hier als Ex-Journalist mit einer kurzen Einordnung gemacht habe, wäre schlicht die handwerkliche Pflicht und Schuldigkeit selbst eines Journalisten-Schülers. Aber was machen die Profis der Branche? Ich habe es mittels Google-News mal zusammengestellt: Der Tenor ist leider sehr ähnlich. „Forscher“ fordern „Kurswechsel“, „180-Grad Wende“, warnen vor „kontraproduktiven Maßnahmen“, „prangern Corona-Politik an“, „fordern sinnvollere Maßnahmen“, „sind gegen Maskenpflicht im Freien“.

 

Das ist ein vollumfänglich jämmerliches journalistisches Kollektivversagen. Hier wird von „Forschern“ gesprochen, obwohl sich diese Berichte ausschließlich auf den „offenen Brief“ von Funktionären eines Vereins berufen, die dabei ihrerseits ein Positionspapier zitieren, welches von diesen Journalisten wohl niemand gelesen hat. Die Inhalte des wissenschaftlich/inhaltlichen Positionspapiers geben nämlich keine einzige der getroffenen Schlagzeilen her. Es stimmt mich wirklich traurig, was die Ex-Kollegen daraus machen!

Kurz zur Sache an sich: Die Frage an die Politik ist natürlich, wie man die in dem Brief sowie in dem Positionspapier vollkommen richtig dargestellten wesentlichen Infektionsquellen verhindern kann. Es ist gewiss Teil der Aerosolforschung, dazu einen Beitrag zu leisten. Das passiert in dem Positionspapier recht gut: Es zeigt, wie Aerosole sich in Räumen ausbreiten und welche mechanisch/physikalischen Gegenmittel (Masken, Lüften, Lüftungs- und Filtertechnik) existieren.

Gegenmittel sind aber noch keine Gegenmaßnahmen und die Aufgabe der Politik fängt hier gerade erst an. Die eigentliche Frage ist natürlich, wie sicherzustellen ist, dass diese Gegenmittel eingesetzt werden und dass Kontakte in geschlossenen Räumen insbesondere bei nicht vorhandenen Gegenmitteln unterbleiben.

An der Stelle kann es durchaus übrigens erforderlich sein, „Symbolpolitik“ zu betreiben, die hier so angeprangert wird. Ebenso kann es notwendig werden, Maßnahmen durchzusetzen, die nur indirekt wirken.

Wissenschaftlich werden solche Dinge im Bereich der Epidemiologie erforscht und es wäre der GAeF dringend zu empfehlen, die geforderte interdisziplinäre Arbeit nicht nur zu fordern, sondern auch selbst mal damit zu beginnen. So haben leider – ich kann nur betonen: leider! – epidemiologische Studien aus vielen Ländern gezeigt, dass die Durchsetzung der Maskenpflicht bei Homo Sapiens besser gelingt, wenn sie schlicht gar keine Ausnahmen zulässt, also innen wie außen gilt, damit die Schlauberger unter den Homo Sapiens erst gar keine Gelegenheit bekommen, für sich selbst zu deklarieren, was sie unter innen und außen denn so verstehen. Ebenso haben Studien gezeigt, dass Ausgangssperren indirekt sehr wohl private Treffen in Innenräumen mindern, vor allem dann, wenn sie in den Abendstunden verhängt werden. Dadurch werden private Feierlichkeiten in den dafür bevorzugten Stunden halt unattraktiv. Insgesamt gilt leider aus der Epidemiologie, dass jede Einschränkung von Mobilität sehr wirksam ist, auch wenn die Mobilität selbst kaum als wesentlicher Infektionsort anzusehen ist.

Aufgrund der Uneinsichtigkeit vieler unserer Mitbürger sind leider indirekte und ja, auch symbolische Maßnahmen offensichtlich erforderlich und nachgewiesen wirksam. Es ist ausgesprochen nachvollziehbar, dass wir alle damit unsere Verständnisprobleme haben. Jeder Bürger, der sich an die Auflagen hält, wird täglich in seinem Leben feststellen, dass er sein Verhalten ständig in einer Weise anpassen muss, die mit konkreten Infektionsgefahren nichts zu tun hat.

Mit etwas persönlicher Reife und mehr Erfahrungswerten zu menschlichem Verhalten kann man das sehr gut akzeptieren, ohne es gut zu finden. Dass wir in den westlichen Gesellschaften nur mit der Methode „Holzhammer“ zurecht kommen und damit auch nur das Allerschlimmste zu vermeiden in der Lage sind, liegt sicher auch an der Politik, aber noch viel mehr: An uns selbst.

Mit dieser Erkenntnis scheinen Physiker und Klimatechniker entweder überfordert oder sie sind der Gunst der Stunde, sich so zu positionieren, erlegen. Das hat mit Wissenschaft nichts mehr zu tun und das oben dokumentiere mediale Konzert ist nicht journalistisch.

Kein guter Tag für den nebenberuflichen Wissenschaftler, der früher mal versucht hat, die grundgesetzlich verankerte Rolle der Medien in die digitale Welt zu übersetzen.

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