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Die Rede von Laschet verdient einen zweiten Blick

Ich habe die Laschet-Rede gestern kommentiert, nachdem ich sie live gesehen hatte. Inzwischen steht das Video online und es ist interessant, es ab 1:21h noch mal wirken zu lassen.
Aus meiner Sicht ist die Fokussierung auf die Frage, ob er die Leistungen der Sozialdemokratie historisch richtig würdigt, nicht angemessen. So klar, wie Klingbeil das kommentiert, ist das weder inhaltlich passiert, noch ist es eine wesentliche „Würdigung“ dieses Auftritts.
Denn: Laschets Rede als „schwach“ zu bezeichnen, wäre eine Beschönigung. Wer auch immer sie für ihn schreibt, dem ist nun gar nichts mehr eingefallen. Diese vollkommen hilflose Irrlichterei durch die große Historie der CDU ist genauso misslungen – und übrigens ohne jeden Kontext gekommen – wie die Versuche, dabei die SPD zu diffamieren. Dieser „Exkurs“ in die Nachkriegsgeschichte ist deplatziert und inhaltlich so dümmlich, dass man keinen Schüler im Geschichtsunterricht damit durchkommen lassen dürfte.
Das relevante an dem Zweitkonsum dieses Videos sind aber nicht diese tapsig hilflos leeren Worte eines hoffnungslos überforderten Kandidaten, sondern die vor Schmerz erstarrten Gesichter der Zuhörer. Das war mir live nicht so klar aufgefallen. Man kann Söder, Weigel & Co förmlich ansehen, wie sie um Fassung ringen und versuchen, wenigstens ein versteinertes Gesicht zu machen. Es lohnt tatsächlich, das Video unter diesem Aspekt noch mal zu betrachten. Man kann die fassungslose Peinlichkeit des Vorgangs förmlich spüren – durch alle Reihen, nicht nur bei den vorderen Plätzen. In den Gesichtern steht glasklar eine Frage: Wer ist dieser Mann, was erzählt er da, warum steht er dort, warum muss ich das hören?
Ich beobachte die Politik seit 30 Jahren sehr aufmerksam. Aber mir ist kein so krasser Fall einer Partei bekannt, die dermaßen offensichtlich unglücklich mit ihrem Kandidaten ist. Das ist bei Laschets Auftritten vor CDU-Auditorien inzwischen genauso. Sobald die vorab ja auch hier inszenierten Freundlichkeiten vorbei sind und seine Reden ertragen werden müssen, wird es einfach nur bitter still und leise.
Wenn die Sache ein Gutes hat, dann führt sie zu einer Aufräumaktion der verfilzten Strukturen dahinter. Die Parteibasis äußert das teilweise bereits vor der Wahl, was bezeichnend ist. Ich vermute, dass der Unmut viel größer ist und in zwei Wochen erst beginnt, zu wirken. Das ist der einzige Hoffnungswert, denn Deutschland braucht eine stabile konservative Partei, sonst bekommen wir aufgrund unserer Altersstruktur und der ohnehin bereits viel zu starken rechtsextremen Szene ähnliche Probleme wie die USA mit ihrem republikanischen Desaster. Es ist aus meiner Sicht vollkommen egal, ob man nun selbst Konservativer ist, Liberaler mit oder ohne Heimat (meine Situation), überzeugter Sozialdemokrat, Grüner oder Linker: Es geht hier um nichts anderes, als die in vielen westlichen Ländern erkennbare Gefahr eines rechtspopulistischen Zerfalls zu verhindern. Das ist nämlich die weit wahrscheinlichere Schieflage bei uns, nicht der „Linksrutsch“.
Wenn man schon deutsche Geschichte bemühen möchte, dann sollte man korrekt erkennen, dass die großen Unglücke immer durch eine Schwäche des konservativen Spektrums entstanden sind!
Hoffentlich bewirkt Laschet eine Wurzelbehandlung der CDU, dann hätte seine Kandidatur tatsächlich einen Wert. Das dürfte vor allem dann passieren, wenn wir eine Ampel bekommen und die Union auf der Oppositionsbank sehen. Es geht nicht um die nächsten vier Jahre, es ist eine Richtungsentscheidung für die weitere Entwicklung aller Parteien. Die kann seitens SPD, Grünen und FDP in einer Regierungsverantwortung gelingen und seitens der Union durch einen Scherbenhaufen mit vier Jahren Genesungszeit. Insofern wäre eine große Koalition die wahre Katastrophe – wir sollten die Ampel wählen. Jeder mag für sich entscheiden, wie man dieses Projekt am sinnvollsten fördert.

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