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Es geht weder um Ökonomie, noch um Arbeitsplätze

Der gestrige Beitrag zum Anteil erneuerbarer Energien hat mir wieder sehr viele Reaktionen per Mail gebracht. Die Wirtschaft, die Arbeitsplätze, die Sozialverträglichkeit, das Aufholbedürfnis der Entwicklungsländer, ökonomisch alles nicht verkraftbar.
Bevor meine Tischkante Schaden nimmt, lasse ich es lieber an der Tastatur aus.
Wir haben schlappe 9 Billionen aufgewendet, um ein besch… Finanzsystem zu retten, das dadurch nicht mal einen Millimeter besser wurde. Ich war viele Jahre in dem System tätig und daher entschuldige ich mich NICHT für diese Formulierung.
Nun bin ich inzwischen – auch – in der Energiebranche tätig, als Aufsichtsrat für einen mittelständischen Energieerzeuger, der nur Solar- und Windkraft realisiert. Zudem übrigens weltweit, denn Europa ist oft einfach nur ein Fall für die Tischkante.
Aus beiden Welten kommend behaupte ich: Als ob Homo Sapiens im Jahre 2021 nur die Wahl habe, zu verrecken, indem er seine Umwelt vernichtet oder indem er verhungert. Als ob es an den finanziellen Mitteln fehle. Wir haben den Planeten mit Kapital voll gepumpt und wir können sogar noch mal dasselbe pumpen. Wenn wir dem Kapital endlich mal bessere Optionen bieten, als Preisblasen an Vermögensmärkten aufzubauen oder im Finanzsystem selbst in derivativen Modellen herum zu lungern, könnte daraus sogar mal was sinnvolles außer einer weiteren Vermögensspreizung entstehen.
Die Wahrheit ist, dass wir einfach zu dämlich sind und auf veralteten besitzstandswahrenden Strukturen sitzen – national und global. Die dämlichsten sind die Europäer. Wie jedes Land der Erde will man auch innerhalb Europas energieautonom sein. Homo Sapiens hat die Weltkriege wohl in seinem Langzeitgedächtnis, keiner will Gefahr laufen, dass von außen ein anderer den Stecker ziehen kann.
DAS ist das globale Problem und es wäre lösbar, wenn man die Abhängigkeiten sinnvoll so gegeneinander balanciert, dass keiner mehr irgendeinen Stecker in der Hand hat. Beim Welthandel hat das schließlich auch funktioniert, warum nicht bei der Energieversorgung. Da wäre es nämlich noch transparenter und klarer machbar.
Einen Anfang könnte Europa machen. Selbst innerhalb dieses politisch zusammenwachsenden Kontinents macht jeder „seine“ Energiepolitik. Wir übrigens eine der dümmsten, denn wir haben eine halbe Wende hingelegt, die uns immer wieder zum Importeur von Kohle- und Atomstrom macht. Damit rechnen wir „unsere“ CO2-Bilanz beim Strom schön, weil wir nur „unsere“ Produktion, aber nicht unseren Verbrauch bewerten!
In der Energiebranche wird, das ist für mich nun ein Déjà-vu, genauso gelogen wie in der Finanzbranche. Für die Europäer bedeutet es im Ergebnis, dass da jeder so seinen eigenen Weg geht und alle gemeinsam immer noch an der OPEC sowie nun zusätzlich an Putins Gashahn hängen. Da ist genau gar nichts autonom. Wir haben ein paar fossile Notreserven, so dass wir nicht plump, sondern nur schlau erpressbar sind. Aber die sind halt schlau in Moskau und Riad.
Europa hat genug Sonne im Süden, genug Wind in kargen Höhenlagen sowie vor allem Offshore. Europa hat genug Technologien für Zwischenspeicherung und die entwickeln sich rasant weiter. Leider hat Europa aber auch mächtige Energiekonzerne, die auf mächtigen Anlagen sitzen, die mächtige Beträge in sehr mächtigen Bilanzen ausmachen. Davon ist bei Lichte betrachtet das meiste nun mal giftiger Müll – und bei unserer Art zu bilanzieren, wäre es angeblich „teuer“ bzw. „unbezahlbar“, das Zeug zu entsorgen. Schon klar, wenn man die Kosten, es nicht zu tun, in der Bilanz verschleiert, kommt das halt raus.
Übrigens geht es an der Stelle genau gar nicht um Arbeitsplätze, sondern um Aktionärsinteressen. Eine echte, europaweite und konsequente Energiewende wäre vielmehr sowohl ein Konjunktur- als auch ein Arbeitsplatzprogramm mit und für die Zukunft. Das wäre zudem weitaus besser als einen Teil dieses unglaublich vielen Kapitals weiter über Staatsdefizite in Sozialhaushalte zu stecken, um den großen Unfug, der mit dem ganz großen Kapital passiert, für die Bevölkerung insgesamt irgendwie abzufedern.
Dieselbe ökonomische Gleichung gilt für den Umbau hinter der Energieerzeugung. Von der Mobilität bis zu den Heizungen in unseren Häusern. Eine Volkswirtschaft, die in Infrastruktur investiert, verliert kein Kapital, es wird nur umgewandelt in etwas sinnvolles. China hat das schon lange verinnerlicht, die USA fangen gerade damit an – und Europa? Streitet über die schwarze Null!
Selbstverständlich gilt genau dasselbe global. Es gibt genug Sonnen- und Windzonen auf dem Planeten, global sogar 24h am Tag. Natürlich hat Homo Sapiens sowohl die Ressourcen als auch die Technologien für eine echte Energiewende. Richtig organisiert und natürlich auch militärisch per UN-Mandat abgesichert, wäre es zudem neben dem Welthandel ein weiteres Friedensprojekt.
Es scheitert an Nationalismen, geostrategischen Spielchen sowie Besitzständen vergleichsweise weniger – und fehlender Intelligenz in den Entscheidungen. Das kostet Umwelt, das kostet Leben, das verhindert Arbeitsplätze mit Zukunft.
Ein Thema, das bei mir nur noch zwischen Trauer und Ärger oszilliert. Das schlimmste ist, wie untauglich unsere öffentlichen Debatten dazu ablaufen. Wenn wir als Gesellschaft das Thema nicht begreifen, wird sich an den Ursachen kaum etwas ändern. Ökonomische Ursachen dafür existieren nicht, das sollten wir uns endlich nicht mehr aufschwatzen lassen!
Die Welt braucht eine Art „Marshall-Plan“ für die Energie-Erzeugung. Der scheitert nicht am Kapital, nicht an der Ökonomie, nicht an der technischen Machbarkeit – sondern an der damit verbundenen tektonischen Machtverschiebung.
[Autor nach Diktat doch in Tischkante verblieben]

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