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Gier ist nicht gleich Gier

Als ich gestern einen BBC-Bericht zu den Pandora-Papieren veröffentlichte, hat mir ein Leser hat mir darauf per Mail sehr ausführlich geantwortet. Ich respektiere seinen Wunsch einer nicht öffentlichen Diskussion, will aber meinerseits öffentlich antworten.
Die Replik des Lesers besagt sinngemäß, Gier sei menschlich, sie wohne in uns allen, die Kritik an diesen Personen sei oft durch Neid geprägt, die seien halt sehr erfolgreich und bei unserem Steuersystem müsse man seinen Erfolg nun mal schützen. Das tue ebenfalls jeder, ab einem gewissen Erfolg seien halt die Möglichkeiten andere.
Eine Meinung, die sehr oft gehört habe, interessanterweise tatsächlich meist eher nicht öffentlich – ich halte sie für weiter verbreitet, daher die öffentliche Antwort.
Gier ist definitiv menschlich. Empathie aber auch. Egoismus ist menschlich, er ist überlebenswichtig. Kooperationsbereitschaft sowie Gemeinschaftssinn sind ebenfalls menschlich und nicht weniger überlebenswichtig. Wir können hassen und lieben, wenn es hart kommt, sogar denselben Menschen. Wir sind genauso widersprüchlich wie die Natur, die uns umgibt. Die kann uns das größte und tiefste Empfinden bescheren oder uns töten.
Es gibt nur ein wahres Glück und das ist die Balance dieser Widersprüche – unter uns und mit unserer Umwelt. Ein Modell für einen Teil dieser Balance nennt sich Zivilisation. Die versucht sich in der Sozialisierung ihrer Mitglieder, nennt sich Erziehung. Gelingt das nicht, kann es auf der einen Seite in den Knast führen – und nach meiner persönlichen Wertung genauso auf der anderen in die Pandora-Papiere. Der daraus resultierende Lebensstil ist höchst unterschiedlich, bei der Menschlichkeit sehe ich eher Ähnlichkeiten.
Damit adressiere ich nicht einige Tausend dort nun „mitgeschleppter“ eher Unwissender, denn man darf nicht übersehen, dass dahinter eine Industrie von Beratern steckt, die ihren Mandanten solche Modelle aufschwätzen. Hier ist eine Grauzone zur weit verbreiteten „Kreativität“ bei den wohl tatsächlich meisten Steuererklärungen. Dazu nur kurz: Ich habe mich 20 Jahre mit unserem Steuerrecht beruflich herumgeschlagen, galt mal als Experte. Vor zehn Jahren hatte ich (endlich) keine Lust mehr dazu. Heute kann ich Grundsatzdebatten mit namhaften Experten auf Augenhöhe führen, meine eigene Steuererklärung verstehe ich nicht mehr. Das ist unsozial, das ist abartig, das ist – nicht nur aus meiner Sicht – fast schon verfassungswidrig. Ich akzeptiere, dass dieses System eine hohe Motivation auslösen muss, „kreativ“ genutzt zu werden. Mein Steuerberater, ich hätte niemals gedacht, einen zu brauchen, ich habe die mal ausgebildet, macht das für mich. Ich kann mir einen leisten, viele nicht. Das ist ein langes Thema für sich und da den Stab zu brechen, ist nicht leicht.
Es gibt Steuertrickser und es gibt davon gewiss eine Grauzone zu den Großverdienern, Betrügern und Dieben am eigenen Volk, die in diesen Papieren ganz vorne stehen – und die ganz genau wissen, was sie tun. Die nenne ich hässliche Fratze der Gier.
Wenn Menschen in unseren westlichen Industrienationen zu einem Reichtum kommen, der jegliche materielle Sorgen erledigt, erwarte ich, dass die ans Zurückgeben denken und nicht an die nächste Yacht im nächsten Weltmeer. Sonst ist da mit der Sozialisierung aber was schief gegangen und wir sollten das auch klar von denen trennen, die sich beim natürlichen Egoismus vielleicht durch den Steuertarif irritiert zu weit aus der Gemeinschaft bewegen – denn die Ziele der Sozialisierung kommen sonst durcheinander.
Eine nochmals andere Bewertung „verdienen“ die gestern ebenfalls hervor gehobenen Verbrecher – der Begriff ist vollkommen angemessen – aus den ärmsten Ländern der Erde. Die stammen aus korrupten Eliten, die ihr Land, in dem es bei den meisten um die nackte Existenz geht, ausplündern und damit sogar nach unseren Maßstäben zu unermesslichen Reichtümern gelangen. Wer sich beispielsweise mit Ländern in Afrika oder Zentralasien beschäftigt und das wie ich auch mal vor Ort vertiefen darf, erkennt, welche Folgen das dort hat. Es ist weit mehr als Diebstahl, es ist der Hauptgrund, weshalb sich diese Länder nicht besser entwickeln können. Korruption an der Spitze einer Gesellschaft erzwingt Korruption als Ordnungsprinzip im ganzen Staat. Da Korruption aber immer geringen Eigennutz zulasten viel größerer Fremdschäden bedeutet, kann ein Land so niemals prosperieren – die Umwelt erst recht nicht, denn solche Gesellschaften laden exakt da die meisten Fremdschäden ab.
Es ist unerhört, was diese Spitzenvermögenden tun. Bei uns haben die das Nehmen und Geben gehörig durcheinander gebracht. In Entwicklungsländern sind es Verbrecher am eigenen Volk. Dass es eine ganze Finanzindustrie gibt, die bestens daran verdient, das zu ermöglichen, ist ebenfalls unerhört. Diese ganzen Sümpfe gelten endlich ausgetrocknet.
Neid empfinde ich an der Stelle gewiss keinen. Ich komme eher mit anderen Emotionen aus der Balance.

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