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CoroNews 4. Dezember 2021

Die Kurve der Neuinfektionen ist bekanntlich vor wenigen Tagen durch einen starken Knick in ein Plateau übergegangen. Heute sind die Zahlen nach mehreren Tagen geringfügiger Rückgänge leicht gestiegen. Haben wir eine Art „Balance“ mit dem enorm infektiösen Delta-Virus erreicht? Das ist sehr unwahrscheinlich. Solche Muster gibt es nur in Deutschland und das nun zum zweiten Mal nach dem November 2020.

Der Gesamtverlauf der Pandemie in Deutschland zeigt zunächst unzweifelhaft, dass die Infektionen sich weit über die bisherigen Niveaus hinaus entwickelt haben – und der Dezember hat gerade mal angefangen.

 

Schaut man sich die vierte Welle in genauerer Auflösung an, so erkennt man, dass der Wachstumstrend bereits seit Mitte November leicht zurück geht, um dann vor einigen Tagen in diesen – vermeintlichen – Seitwärtstrend zu münden.

 

Dieser Verlauf ist auch nicht mit dem aus UK vergleichbar, wo sich die Pandemie bei einer insgesamt höheren Immunitätsquote aus Geimpften und Genesenen in Wellen auf sehr hohem Niveau eingependelt hat.

Die skeptischen Meldungen zu den jüngsten Daten nehmen entsprechend zu (https://www.spiegel.de/wissenschaft/corona-zahlen-gesundheitsaemter-ueberlastet-daten-werden-immer-unzuverlaessiger-a-ce3437fd-7c5d-4d57-97c8-832b166fc163), ich hatte diese Entwicklung vor einigen Tagen bereits bezweifelt: (https://dirkspecht.de/2021/12/das-plateau-bei-den-infektionszahlen-ist-statistisch-unglaubwuerdig/)

Es sieht leider so aus, dass wir in Deutschland eine harte Grenze der Testinfrastruktur haben. Das liegt primär wohl an den Kapazitäten der Gesundheitsämter, aber auch an den Laborkapazitäten. Bereits im Anstieg der Winterwelle 2020 – und das war noch der Wildtyp – hatte man die Teststrategie daher auf Menschen mit Symptomen fokussiert, während Asymptomatische gar nicht mehr getestet wurden. Heute mehren sich Meldungen, dass neben Asymptomatischen auch Geimpfte kaum noch getestet werden.

Dass wir eine Untertestung haben, legt bereits die Testmenge nah, die zwar in der vierten Welle verdoppelt werden konnte, parallel hatten sich die Infektionszahlen aber gleich drei Mal verdoppelt. Auffällig ist hier bereits, dass die Zahlen seit Tagen stagnieren und zwar einige Tage vor dem vermeintlichen Plateau. Leider enden diese Daten am 28. November, aktuellere gibt es noch nicht.

 

Ein noch klareres Signal für eine Untertestung ist die Positivquote. Auch hier liegen keine ganz aktuellen Daten vor, so dass die jüngste Entwicklung noch nicht zu bewerten ist, aber dieser Trend ist zuletzt unverändert steil geblieben und spricht klar gegen so eine plötzliche und deutliche Abflachung der Infektionen.

 

Also bleibt zur Bewertung des Geschehens wieder mal nur der Blick in die klinischen Daten, bei denen wir eine richtige und vollständige Zählung voraussetzen können. Das Gesamtbild seit März 2020 zeigt, dass die Einschätzung vieler Intensivmediziner, bald wieder die alte Höchstbelastung zu erwarten, begründet ist. Zugleich sehen wir auch hier den Erfolg der Impfungen. Wir haben eine deutlich höhere Delta-Welle, die im Vergleich zum Wildtyp eine bisher geringere Zahl an Intensivbehandlungen verlangt. Aber was nutzt die geringere Quote, wenn die absoluten Zahlen weiter steigen?

 

Leider schauen wir mit den Intensivzahlen auf das Infektionsgeschehen von vor zwei bis drei Wochen. Da hatten wir nur die oben erwähnte leichte Abschwächung des Wachstums, es ist also auch bei detaillierter Betrachtung der letzten Wochen noch kein Trendwechsel zu erwarten. Da das Durchschnittsalter auf den Intensivstationen gesunken ist, liegen die Patienten dort inzwischen wesentlich länger. Das wird die Latenz dieser Zahlen weiter erhöhen, wir werden hier erst sehr spät Licht in unsere aktuelle Situation bekommen.

 

Bleiben noch die Sterbezahlen zur Einschätzung der tatsächlichen Situation. Die haben natürlich eine noch längere und zudem individuell sehr unterschiedliche Latenz zu den Infektionen. Wenn wir aber davon ausgehen, dass die individuellen Streuungen sich bei der leider doch wieder größeren Zahl statistisch ausgleichen, so kann man hier vielleicht eine Bestätigung des leichten Wachstumsrückgangs sehen. Wir haben hier ein Niveau von etwa 300 Sterbefällen pro Tag im 7-Tage Mittel, bei unverändertem Wachstum in den letzten ca. drei Wochen wären es etwa 360 geworden.

 

Bleiben mal wieder nur Modellrechnungen, um die Entwicklung vielleicht einschätzen zu können. Ich bevorzuge die Modellierung des Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME), die ein hybrides statistischen/SEIR Modell einsetzen. Damit lässt sich aus meiner Sicht vor allem die Charakteristik des tatsächlichen Verlaufs recht gut abbilden. Ob die Höhe der Zahlen tatsächlich so realistisch ist, kann man derzeit noch nicht sagen. Das hängt maßgeblich von der verwendeten IFR ab und die wird erst mehrjährige Forschung besser ergeben. Hinzu kommt, dass die IFR keine Konstante ist, sondern vom Altersdurchschnitt der jeweils primär infizierten Kohorten abhängt.

Das Modell ist also für eine aktuelle Bewertung bei Untertestung nicht geeignet, es dürfte aber sehr gut abbilden, was qualitativ tatsächlich passiert. Wir sehen hier nämlich den viel wahrscheinlicheren Verlauf in Form von Wellen, die ihr Wachstum zuerst beschleunigen und dann bereits durch Vorsicht der Bevölkerung etwas verlangsamen, bis durch konsequente Gegenmaßnahmen ein Peak mit einem darauf folgenden exponentiellen Zerfall entsteht. Aber auch diese Kuppen der Wellen verlaufen viel gleichmäßiger, als wir es in unseren Zahlen derzeit zu sehen bekommen.

Ebenfalls fällt auf, dass wir jedes Mal bei den eskalierenden Wachstumstrends eine starke Ausdehnung der Dunkelziffer hatten. Ob das wie hier modelliert auf temporär bis zu Faktor vier führt, ist nicht relevant, aber qualitativ dürfte das so laufen.

 

Diese Modellrechnung reicht nur bis Mitte November, das Chart läuft bis gestern, weil die getesteten Infektionen ebenfalls aufgeführt sind. In der logarithmischen Darstellung kann man ebenfalls die leichte Abschwächung des Wachstums erkennen.

 

Hier noch für die vierte Welle im Detail.

Als Fazit kann man aus diesen Daten leider nur ableiten, dass wir recht sicher bereits Mitte November einen Rückgang des Wachstums gesehen haben. Das war zu dem Zeitpunkt erster Gegenmaßnahmen in den besonders betroffenen Bundesländern, in denen diese Reaktion stärker ausfällt. Tatsächlich dürften die Zahlen in Bayern inzwischen sinken. Gerade deswegen ist zu erwarten, dass die Entwicklung in anderen Regionen keineswegs so entspannt ist, wie es sich aktuell darstellt.

Die Gesamtdaten sprechen dafür, dass dieser Trend des rückläufigen Wachstums sich hoffentlich fortgesetzt hat, so dass wir tatsächlich derzeit einen nochmals flacheren Anstieg haben – von einem Plateau ist nicht auszugehen. Für die klinische Situation bedeutet das eine weitere Zunahme der Belastung mit etwas geringerem Tempo. Die Schätzungen von Intensivmedizinern, vor Weihnachten die alten Höchstwerte zu überschreiten, könnten demnach realistisch sein – falls nicht doch vorher mehr unternommen wird.

Die Ressourcen für diese Belastung sind nicht vorhanden. Die bereits erkennbaren Reaktionen – Verlegungen von Patienten, abgesagte Operationen, nicht für alle Fälle verfügbare Intensivbehandlungen – kann man durchaus mit Triage bezeichnen. Das wird eher zunehmen, denn selbst wenn nun Maßnahmen ergriffen werden und diese auch etwas bewirken, dauert das bekanntlich einige Wochen in der Auswirkung.

Diese Situation erinnert sehr an den Lockdown light aus dem letzten Jahr. Der hat durchaus etwas bewirkt, er hat Leben gerettet, aber er hat die Welle nicht gebrochen. Das ist erst später gelungen und hat umso länger gedauert.

Es spricht viel dafür, dass sich diese Entwicklung wiederholt. Ob es dabei bleiben kann, die Maßnahmen auf Ungeimpfte zu fokussieren, wird sich zeigen. Das hängt sicher auch davon ab, wie der mitten in dieser Welle mit Verspätung und Verzögerung laufende Impffortschritt sich entwickelt – sowohl seitens der Booster- als auch der Erstimpfungen.

Im letzten Winter hat die anfängliche Verzögerung bei den Gegenmaßnahmen bis in den März hinein eine ewig lange Lockdown-Phase erzwungen. Impfungen wurden parallel, ebenfalls ruckelnd hoch gefahren. Wäre es beim Wildtyp geblieben, hätten wir mit unserer Impfquote nun Ruhe.

Aber bekanntlich kam Delta und die für diese Variante erforderliche Impfquote wurde nicht erreicht. So wiederholt sich wie so oft in dieser Krise eigentlich bereits bekanntes. Und dieses Mal steht Omicron vor der Tür. Dazu hatte ich bereits in den letzten Tagen (https://dirkspecht.de/2021/12/2362/) berichtet und leider werden die Nachrichten heute nicht besser (https://www.nytimes.com/2021/12/03/health/coronavirus-omicron-vaccines-contagiousness.html).

Es deutet sich an, dass Omicron die Situation mit Delta, die uns bereits so fordert, weiter verschärfen wird. Wenn Impfungen hier eher schwere Verläufe verhindern und bei den Infektionen nicht mehr so gut wirken, muss unsere Impfquote inklusive der Kinder über die 90% kommen, davon so viele Booster wie möglich. Leider lassen die Nachrichten von der Impffront das nicht schnell genug erwarten.

Es ist nicht schön, das festzustellen, aber die Parallelen zum letzten Winter werden erkennbar, so dass wir wohl mit einem ähnlichen Leid in den Kliniken sowie einer Beruhigung der Lage erst im Frühjahr rechnen müssen. Immerhin kommen inzwischen Stimmen aus der Politik, die neben einer Impfpflicht auch die dafür notwendige Impfinfrastruktur als Dauereinrichtung ins Gespräch bringen.

Letzteres ist ohnehin bereits lange vollkommen offensichtlich. Wie man von der Bestellpolitik bis zur Applikation so nachlässig verfahren konnte, ist nicht nachvollziehbar. Die Impfpflicht ist etwas, was ich mir niemals gewünscht hätte. Nun müssen wir aber erkennen, dass nur eine Reihe jährlicher Booster-Impfungen mit adaptierten Impfstoffen sowie in sehr hoher Quote zum Ende dieses Desasters führen kann. Omicron erzeugt in Süd Afrika reihenweise Zweit- und Drittinfektionen. Das ist von Mutationen in Brasilien und Indien ebenfalls berichtet worden. Weder einmalige Impfungen, noch Durchseuchung lösen das Problem. Das führt jedes Jahr zu genau derselben Situation. Wir erleben zwar leider auch die Wiederholung von Fehlern, aber das Grundübel sind natürlich die vielfachen Wellen, die dieses Virus trotz Impfungen und Vorinfektionen immer wieder erzeugt. Ob es irgendwann zu einer hoch infektiösen und zugleich harmlosen Variante kommt, die dadurch Vorteile gegenüber allen anderen hat und diese verdrängt, ist keine Wette, auf die wir uns einlassen können.

Regelimpfungen bis auf weiteres in hoher Quote sind also das erkennbar einzige Instrument, diese Pandemie endlich in den Griff zu bekommen. Die Politik muss tatsächlich diskutieren, ob dazu neben der Bereitstellung der Infrastruktur eine Impfpflicht kommen muss. Angesichts der nicht endenden Diskussion in der Bevölkerung und der Tatsache, dass die Impfung offensichtlich von einem nicht geringen Teil als politisches Störinstrument missbraucht wird, könnte es sein, dass man diesen Missbrauch nur durch eine gesetzliche Regelung in den Griff bekommt.

Die nächsten Wochen werden zeigen, wie viele Menschen sich überzeugen lassen, dass diese Krise nicht anders zu beenden ist.

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