white and black industrial machine

Ist die Trennung vom „System Schröder“ gelungen?

Das Schröder-Interview aus der NYT hat eine Welle der Empörung über den Ex-Kanzler ausgelöst. Vor allem aus der SPD kamen die meisten und schärfsten Reaktionen. Ein Trennungsprozess nimmt seinen Gang, aber ist der weit wichtigere Findungsprozess auf dem Weg?

Der Beitrag der NYT ist mehr als ein Interview und es geht auch nicht nur um Schröder, sondern um das System Schröder. Wer den Artikel noch nicht lesen konnte, dem sei die Lektüre nochmals empfohlen. Ich verlinke die Übersetzung, die ich für jeden verfügbar gemacht habe: https://dirkspecht.de/2022/04/die-nyt-ueber-schroeder-und-die-ostpolitik/. Wer das Original öffnen kann, dem sei das alleine wegen der eindrucksvollen Bilder, die eine ganz besondere Sprache sprechen, empfohlen.

Die Aufarbeitung der jüngeren Geschichte wird zeitgenössisch nicht abzuschließen sein, das ist eine geopolitische Katastrophe, die viel mehr Akteure als Deutschland kennt. Die aktuelle Frage für die Deutschen ist aber, welche Teile des Systems Schröder noch aktiv sind. Kein geringerer als der amtierende Bundespräsident oder die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern bekleiden wichtige politische Ämter, Sigmar Gabriel ist als „Berater“ zwischen Politik und Wirtschaft aktiv, Schröder ist keineswegs der einzige, der noch Funktionen in russischen oder russisch dominierten Organisationen bekleidet und daran festhält, der Vorgänger der genannten Ministerpräsidentin sei hier nur erwähnt.

Tatsächlich treten in den Medien und insbesondere in den Sozialen Medien nicht wenige und erkennbar häufig der SPD zuzuordnende Stimmen auf, die bei dem Findungsprozess einer neuen Politik nicht sehr weit gekommen sind. Ein Beispiel ist der Ex SPD-Bürgermeister von Düsseldorf, Thomas Geisel, der sich wie viele andere vor allem sehr gerne an dem ukrainischen Botschafter abarbeitet. Geisel leistete sich dazu einen Blog-Beitrag, den er auf Druck der eigenen Partei inzwischen gelöscht hat. Er hatte dort Melnyk angegriffen und in einer sehr ähnlichen Wortwahl wie Schröder sowohl die Kriegsführung der Russen relativiert als auch die Notwendigkeit einer Wiederannäherung thematisiert.

Geisel ist vielleicht repräsentativ für Kreise der SPD und sicher über diese hinausgehende Teile unserer Gesellschaft, die irgendwo zwischen Abschied aus der bisherigen Ostpolitik und deren Neudefinition stehen. Er hat seinem gelöschten Blogbeitrag nun einen neuen gewidmet, in dem er sich verbal insbesondere von der Person Putin distanziert, ohne Replik zu Melnyk aber wieder nicht auskommt und im Kern dann doch wiederholt, dass er sich einen Weg ohne eine Wiederannäherung nicht vorstellen kann. (https://www.thomasgeisel-wasmichumtreibt.de/post/es-reicht-auch-mit-den-shitstorms)

Geisels grundsätzliche Feststellungen, dass ein Frieden in Europa ohne Russland nicht möglich ist und irgendwann der Weg für Diplomatie wieder zu öffnen ist, habe ich hier auch oft geäußert, was mir teilweise böse Kommentare einbringt. Selbstverständlich darf ein Krieg und eine Kriegspartei nur unterstützt werden, wenn damit ein Ziel erreichbar ist, das dem Frieden dient. Es irritiert schon sehr, dass solche Aussagen in der allgemein um sich greifenden Kriegsrhetorik für manche gar nicht mehr „erlaubt“ sind.

Vielleicht stehen viele in unserer Gesellschaft an dieser Stelle und das finde ich vollkommen nachvollziehbar. Zugleich ist zu erkennen, dass die Ostpolitik der jüngeren Vergangenheit insbesondere daran gescheitert ist, die militärischen Optionen nahezu auszuschließen. Nun hat derjenige, gegen den man sie nicht mehr für möglich hielt, sie – erneut! – und bis an die Grenzen der Nato gewählt. Er hat sie auch dort in einer Form der fortwährenden Kriegsverbrechen gewählt, über die viele bisher gerne hinweggesehen haben. Ebenso müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass unsere Partner in der Nato, wenngleich auch nicht vom ersten Tag, aber als Lernprozess in diesem Krieg, nun das Ziel erkannt haben wollen, Putin in diesem Krieg militärisch stoppen zu können.

Es gibt also sowohl durch das russische Vorgehen als auch durch die Entwicklung in der Nato die Notwendigkeit, Deutschland zu positionieren. Das darf jedem in unserer Gesellschaft schwer fallen, aber die Politik muss es leisten. Dabei geht es vermutlich auch um das System Schröder, dessen m.E. erkennbarer Wunsch es ist, eben doch wieder so etwas wie den Status quo ante zu erreichen, also nach einem wie auch immer erreichbaren erzwungenen „Frieden“ im aktuellen militärischen Geschehen, die alten, vor allem ökonomisch so vorteilhaften Strukturen wiederzubeleben.

Wie Geisel hier zu verorten ist, kann man kaum beurteilen und es ist auch nicht wichtig. Klar ist, dass die SPD als Regierungspartei sich nicht positioniert, indem sie sich nur an Schröder und Melnyk abarbeitet. Sie ist als den Kanzler stellende Partei gefragt, den Findungsprozess auf den Weg zu bringen und das fordert natürlich vor allem den Kanzler selbst. Es könnte sein, dass sie sich dazu vom System Schröder zuerst mal zu trennen hat und es ist keine billige Verschwörungstheorie, wenn man fragt, ob wenigstens das gelungen ist?

Beitrag teilen:

Ähnliche Beiträge