derspecht

CoroNews 28.03.2020

Wie jeden Tag versuche ich, meine Eindrücke zu sammeln und meinen Blick auf die Statistik zu teilen. Vorab: Der mich erreichende Nachrichten- und Kommentarstrom wird immer breiter, weshalb ich schon wieder einen langen Text brauche – alles andere wäre Verkürzung und die ist momentan nicht angesagt.

Dennoch kann ich meiner Zusammenfassung heute einen griffigen Titel geben: „Wodargismus oder die Forderung nach Evidenz!“

Zu meiner Überraschung nehmen die Wellen der Zweifler, der Influenza-Jünger, der Zahlen-Meckerei und der „ich will wieder in meine Kneipe“-Stimmen zumindest in meiner Filterblase sogar zu. Zugleich sehe ich, dass die Medien in der Mehrheit unverändert mit wirren Zahlen um sich werfen – wie ich vorgestern bereits geschrieben hatte, nun primär mit Opferzahlen. Ebenso scheuen sich Medien immer noch nicht, alle möglichen „Experten“ mit allen erdenklichen wilden Thesen zu Wort kommen zu lassen oder aus Studien so zu zitieren, dass die daraus heiß gestrickten Berichte trefflich oft gar nichts mit der Studie zu tun haben. Diese Medienberichte und die dort genannten „Experten“ oder „Wissenschaftlichen Studien“ werden wie immer sofort in den sozialen Netzen weiter gedreht. Das nenne ich hier mal „Wodargismus“, weil ich mich damit der Versuchung entziehen kann, einen Internisten aus der Schweiz, einen Virologen aus Franken, einen Statistiker aus Köln und international weit mehr „Experten“ namentlich zu nennen. Meine gestrige Hoffnung, der Wodarg sei tot, ist durch multiple Wiedergeburten und Mutationen leider dahin.

Nun bin ich selbst ja auch kein Epidemiologe, nicht mal Mediziner, aber ich versuche mich hier in sauberer Methodik – Irrtum nicht ausgeschlossen. Die langen Texte schreibe ich auch deshalb, weil ich damit jedem Leser die Chance geben will, meine Sichtweise kritisch zu prüfen – und übrigens sehr gerne zu hinterfragen, zu kritisieren und auch zu widerlegen! Damit will ich sagen: Ob mein Wissen „besser“ als das der Wodargs ist, weiß ich selbst nicht. Aber ich begründe meine Überlegungen und bin damit transparent – genau das tun die Wodargs nicht!

Damit sind wir bei der Evidenz. Es könnte Unwort des Jahres 2020 werden. Die alle Wodargs einigende Methode sind zwei in der Dialektik bekannte Strategien:

Erstens: Rede viel unstrittiges und möglichst kluges Zeug daher, das nichts mit den schwierigen Fragen zu tun hat, aber deiner Glaubwürdigkeit und tendenziell deiner Richtung dient. Als Beispiel sei der Ur-Wodarg selbst noch mal erwähnt, der sich in seinem Video fast 30 Minuten über alte Corona-Viren äußert und das fachlich/wissenschaftlich vollkommen korrekt. Hat mit Covid-19 nichts zu tun, klingt aber toll und Corona heißen die Dinger zufällig auch. Genauso erläutert uns ein Internist umfassend, woran Leute typischerweise und statistisch überwiegend so sterben, Virologen lassen sich über Tröpfcheninfektionen und virale Atemwegserkrankungen aus und Statistiker machen uns klar, was man in Statistik alles falsch machen kann. Das ist alles richtig, alles „wissenschaftliche Fakten“. Aber richtig bedeutet nicht zutreffend – hat auch alles mit Covid-19 nichts zu tun.

Zweitens: Zerrede die Fakten deiner „Gegenseite“, schaffe damit Unsicherheit, fordere Nachweise, verlagere das ganze Gewicht der Argumentation auf die Seite des Gegners, stelle ihn in die Ecke, bringe ihn in Verteidigungszwang. Hüte dich zugleich, selbst so etwas zu versuchen, streue statt dessen für deine Richtung taugliche kurze und nicht greifbare Thesen ein. Am Ende bleiben beim anderen die Zweifel und deine Thesen bedienen die Hoffnung auf Wahrheit.

Ich beschreibe das so ausführlich, weil man damit die Wodargs ohne Fachwissen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit erkennen kann. Wird dort mit Wissen geglänzt, das einen direkten Bezug zur Fragestellung hat? Werden Zweifel an unliebsamen Thesen einfach nur kurz aufgeworfen oder folgt eine schlüssige, transparente und nachvollziehbare Begründung, also eine „Gegen-Evidenz“? Ist das bei Lichte betrachtet mehr, als das Argument „ich bin nicht überzeugt, man liefere mir besseres“? Sehr geschickt übrigens, denn bessere und verlässlichere Informationen wollen wir alle, wer wird da schon widersprechen. Wie werden eigene Behauptungen und Bewertungen getroffen? Verschwinden die in Nebensätzen? Fallen diese Behauptungen irgendwie vom Himmel oder gibt es dazu eine nachvollziehbare Begründung, die der Forderung nach Evidenz auch nur nahe kommt? Was sind konkret die Alternativen, wie werden die begründet, was könnten die Folgen sein, übernimmt da jemand Verantwortung, für das, was er sagt?

Damit greife ich einige der Argumente auf und wiederhole einige Kommentare von anderer Stelle. Die erste Behauptung: „Die Zahlen sind verfälscht und unbrauchbar, damit ist nichts anzufangen, es ist unverantwortlich, so scharfe Maßnahmen auf Basis einer so schwachen und falschen Statistik zu ergreifen, die steigenden Infektionszahlen sind Hauptsächlich auf steigende Testmengen zurückzuführen, tatsächlich sitzen wir wegen maßlos übertriebener staatlicher Eingriffe alle Zuhause, ohne dass es überhaupt einen Effekt hat, wären wir alle noch unterwegs und es würde so viel mehr getestet, hätten wir dieselben Zahlen.“ Das ist eine grobe Zusammenfassung von heute und diese Aussagen werden mit diversen Studien, Zitaten von Statistikern usw. belegt – manchmal jedenfalls.

Diese Aussagen sind überwiegend unzutreffend oder falsch, die daraus abgeleiteten Bewertungen sind folglich alle falsch: Wenn man in einer bestehenden Reihe die TestMENGE ausweitet, führt das zunächst nur dazu, dass die Validität der Ergebnisse zunimmt. Alle Rückschlüsse aus der Testmenge zeigen nur, dass die jeweiligen Autoren oft keine Ahnung haben. Richtig ist, dass die Änderung der Methodik das Ergebnis beeinflusst, das hat aber mit der Menge nichts zu tun. Argumente mit Menge und Methodik gehen wild durcheinander und führen schon daher zu vollkommen falschen Bewertungen.

Richtig ist tatsächlich, dass aufgrund der nicht mehr ausreichenden Testkapazität in Deutschland die Stichprobenbestimmung anders läuft: Es werden nun primär Personen mit Symptomen getestet. Wir haben also eine Änderung der Methodik und es ist daher richtig, dass deshalb auch die Zahlen anders bewertet werden müssen. Wir testen mit der neuen Stichprobe in einer Gruppe, bei der die Wahrscheinlichkeit einer Infektion höher ist. In dieser Stichprobe werden wir anteilig mehr Fälle finden, das treibt die Kurve nach oben – in Form eines steigenden Wachstums. Wie oft erwähnt, kann man diese Entwicklung statistisch nur mit Wachstumsraten bewerten, nicht mit absoluten Zahlen. Wir sehen nun aber, dass parallel zur Änderung der Stichprobe das Wachstum der Kurve tatsächlich SINKT. Es muss also einen Effekt geben, der noch stärker wirkt. Wenn man nun noch den Nachlauf der Eindämmungsmaßnahmen in die Statistik einberechnet, hat man damit nichts anderes als eine hohe statistische Signifikanz für die Wirksamkeit dieser Maßnahmen, sonst nichts.

Eine Bitte an alle Fachleute: Das ist nur die grobe Bewertung über die große Zahl. Das weiß ich! Tatsächlich kann man sich mit den früheren Stichproben, der heutigen, der Konsistenz des Verfahrens etc. sehr detaillierter auseinandersetzen. Ich bin sicher, dass viele gute Wissenschaftler und Mathematiker mit viel mehr Daten (negative Tests, Ort des Tests etc.) bereits an Modellen arbeiten, die bessere Aussagen als meine Helikoptersicht erlauben. Aber diese Sicht funktioniert, so kann man die Zahlen bereits jetzt einsetzen.

Damit zur Behauptung, die Zahlen seien alle falsch, damit könne man nichts anfangen, die Dunkelziffer sei zu hoch etc. Man kann die Zahlen kritisieren, es ist auch nichts dagegen einzuwenden, bessere Zahlen wie breite Stichproben im Feld, unabhängig des klinischen Geschehens zu machen und je mehr, desto besser. Das ist der unstrittige Teil, dem wir alle uns gerne anschließen. Aber unbrauchbar sind die Zahlen nicht! Dazu fehlt der Gegenbeweis, das ist nur dahin geplappertes Gemecker, nicht mehr.

Richtig ist vielmehr, dass wir nun mit China beginnend über einen Zeitraum von vier Monaten weltweit mehr als eine Million Test- und Verlaufsdaten zur Verfügung haben und wer behauptet, damit könne man „nichts“ anfangen, hat von Statistik mal wieder keine Ahnung oder er will diese nicht haben. Man muss natürlich wissen, wie man damit umgeht: Alleine aufgrund der Menge und der Dauer kann man die Wachstumsraten dieser Daten sehr wohl nutzen, um Trends abzuleiten. Man kann also sagen, ob es in den nächsten Wochen besser oder schlechter wird. Diese Raten – NICHT die absoluten Zahlen! – kann man zudem zwischen den Ländern sehr wohl vergleichen, so dass sich beispielsweise Maßnahmen und deren Folgen gut bewerten lassen. Das geht nicht taggenau, Trends finden sich in logarithmischen Kurven über mehrere Tage, die methodisch geglättet sind. Man darf das nicht überinterpretieren, es ist kein superscharfes Tool, aber wir haben kein besseres.

Wer mir hier etwas länger folgt, hat vielleicht gesehen, dass meine Ableitungen aus den Daten recht gut waren – und das ist überhaupt keine besondere Kunst! Es hat in der Tat auch damit zu tun, was man mit diesen Daten NICHT machen kann. Eine Weltformel stellen die nicht dar, schon richtig.

Schauen wir damit also auf den Effekt der veränderten Methodik: Die Kurve hätte wachsen müssen, sie sinkt aber. Nimmt man nun die Wachstumsraten von Ländern wie UK, NL und die USA hinzu, so sieht man, dass ungefähr parallel bzw. leicht nachlaufend dort tatsächlich entweder eine ungebremste oder beschleunigte Entwicklung sichtbar wird. Das heißt: Die Maßnahmen haben uns nachweislich in eine (leicht) bessere Situation geführt und wahrscheinlich sogar eine noch steilere Ausbreitung verhindert. Deutschland stand nach meiner Bewertung vor einem Ausbruch nach oben, der auch definitiv gestoppt wurde – auf welchem Niveau, wissen wir nicht, siehe unten. Es ist aber für mich vollkommen sicher ein weit schlimmeres Szenario verhindert worden.

Gut so!!

Kommen wir damit zu einer hässlichen und besonders zynischen Form des Wodargismus, die nicht mit den Infektions- sondern mit den Todeszahlen zu tun hat: Die Forderung nach einer „evidenten Übersterblichkeit“. Ich will das klipp und klar übersetzen: Das heißt, man soll zuerst mal abwarten, ob in der gesamten Sterblichkeit über alle Todesarten ein „evidenter“ Anstieg nachweisbar ist, bevor man den Covid-19 zuschreibt. Das ist die ganz harte Form der „Influenza-Jünger“. Wie lange diese Wodargs eine „Übersterblichkeit“ sehen wollen, bevor sie Covid-19 als evidente Ursache dafür akzeptieren, sagen sie nicht. Aber unter einigen Monaten kann das wohl nicht angedacht sein.

Meine spontane Antwort darauf lautet übrigens: Ich verfolge immer noch ein Wertesystem, demzufolge diese „Evidenz“ zu vermeiden ist! Das sollte eigentlich genügen, da die damit zusammenhängenden Detailargumente aber vielfältig sind, muss ich dazu leider doch mehr sagen:

Die feine Ausdrucksform für diese Forderung lautet, dass – insbesondere in Italien – derzeit halt viele Menschen „mit“, aber nicht „an“ Covid-19 sterben. Die weniger feine Form findet in Foren Formulierungen wie: „Die Italiener fallen um die Jahreszeit sowieso reihenweise tot vom Stuhl, da ist Corona halt auch dabei.“

Frühere „Studien“ des Wodargismus führen dazu Zahlen zu Influenza (sic!), Atemwegserkrankungen, insbesondere Lungenentzündungen in Norditalien an, garniert mit Satellitenmessungen zur dort hohen Luftverschmutzung, Statistiken zum Gesundheitswesen und zur Altersstruktur. Alles richtig, vielleicht sogar evident, weiß ich nicht, interessiert mich nicht, hat mit Covid-19 nämlich mal wieder nichts zu tun. Nur, dass diese Satellitenmessung vom Raum Mailand gerne weiter verwendet wird, weil Covod-19 dort seinen Anfang hatte – was so genau auch noch keiner weiß, aber sei´s drum, ich will nur mal ins andere Feld spucken.

Wie sage ich es: Wenn in China ein Sack Kartoffeln umfällt, werden weltweit Babys geboren. Das kann man gut nebeneinander stellen. Es ist aber nicht mal eine Korrelation, geschweige denn, eine Kausalität. So gehen diese Studien oder Videos dann auch von Norditalien auf das ganze Land über, dann auf Spanien usw. – Daten zur Luftverschmutzung sehen wir plötzlich nicht mehr. So geht das munter weiter, alle möglichen Todesursachen, wilde Thesen, geschwächte Menschen würden vielleicht wirklich an Covid-19 sterben, aber nur weil das „zufällig um die Ecke kam“, sonst wäre es vielleicht das Marmeladen-Brot zum Frühstück gewesen. Sorry für den Sarkasmus, anders kann man dieses menschenverachtende Zeug – von Medizinern! – nicht verdauen.

Diese Ablenkungsmanöver sind vollkommen überflüssig, denn wir haben Zahlen. Die sind für den Moment ausreichend, um Maßnahmen zu begründen und zu bewerten. Zum Wunsch, auf Evidenz doch bitte zu warten, wiederhole ich hier die Entwicklung von Todesfällen: Die folgen mit derselben Verdopplungsrate den Infektionen – das ist harte Mathematik. Wer hier also eine Woche wartet, sammelt in seiner Evidenzstatistik die vierfache Opferzahl, wer zwei Monate wartet, 44.000 mal mehr – ich kann das nicht oft genug wiederholen. Diese Epidemie erlaubt kein Zuwarten und Zaudern, die Suche nach „Evidenz“ wird rasend schnell mit Leichen bezahlt. Für diese Erkenntnis reichen die Zahlen bereits, die wir schon haben!

Da die tödlich verlaufenden Fälle zeitlich weit streuen, es wird von sehr raschen Fällen binnen weniger Tage bis zu sechs Wochen gesprochen, wird diese traurige Statistik anfangs noch erratischer laufen, als die ersten Meldezahlen. Zudem dürfte hier das Meldewesen noch stockender sein, denn Todesfälle dürften gesammelt und dann stoßweise erfasst werden. Die traurige Wahrheit ist, dass wir erst im vierstelligen Bereich Verläufe sehen, bei denen sich diese Verzögerungen statistisch in der Menge zunehmend ausgleichen. Wir werden schließlich Kurven sehen, bei denen wir ein paar Wochen vorher die Verläufe der Infektionen und zeitversetzt die der Opfer haben. Man kann das jetzt schon für Italien und Spanien absehen, wir können es ferner ahnen, wenn wir nun mehrere Tage hintereinander vierstellige Opferzahlen aus aller Welt bekommen. Ich frage: Ist das nicht evident genug? Wer will da noch warten? Wer kann das verantworten?

Wie komme ich auf diese Aussagen? Es ist das bereits besprochene Mathematische Modell für die anfängliche (!) Ausbreitung der Krankheit. Dabei habe ich – das sei zu beachten – nicht von der Sterblichkeitsrate gesprochen, denn die ist mir viel zu umstritten. Ich will hier auch nicht mit den Fachbegriffen glänzen, welche dieser vielen Raten ich meine. Damit komme ich nämlich auf die nächste Ebene des Wodargismus: Wie viele Menschen sterben an dieser Krankheit? Gerne werden dazu „Studien“ über Wuhan zitiert, die zum Ergebnis kommen, dass dort nur 0,04% der Bevölkerung an Covid-19 verstorben sind. Weiter wird spekuliert, es seien viel mehr Infizierte gewesen – was unstrittig ist, aber wie viele waren es denn? – und Berechnungen angestellt, nur einer pro Tausend der Infizierten sei an der Krankheit verstorben, das ist viel weniger gefährlich als – Überraschung – Influenza. Gerne wird auch darauf verwiesen, dass das RKI mit einer Sterberate von 0,5% der Infizierten, eine Studie des Innenministeriums mit 1% und eine aus UK mit 2% rechne – man wisse das alles also nicht, dabei könne man es doch in Wuhan so genau bestimmen.

Das ist alles richtig und falsch und vor allem nutzlos. So lange man keine guten Modelle hat, wie viele Menschen sich tatsächlich infiziert haben, findet sich die einzige Wahrheit letztlich in den Kliniken. Vorher wird von mir auch niemand Aussagen zu den Sterberaten vorfinden, die leider jetzt schon verteilt und auch noch verglichen werden. Das ist alles ganz großer Mist! Die Zahl schwerer Verläufe sowie der Opfer wird man trauriger Weise in den Krankenhäusern erkennen und dann später, nach Erforschung der Krankheit, per Simulation die Infizierten gut einzuschätzen wissen. Ebenso wird man – leider aufgrund der signifikant großen Zahl – die gewünschte Übersterblichkeit bestimmen und damit rein statistisch die „ohnehin“- von den „Covid-19“-Opfern abgrenzen können. Das wird auch evident sein, die Wodargs werden bekommen, was sie wollen – dafür sind viele Länder leider schon zu weit fortgeschritten, das ist nicht mehr einzufangen.

Ich weiß definitiv nicht, ob sich nun sehr viel mehr Menschen an Covid-19 infiziert haben und davon dann nur relativ wenige in den Krankenhäusern landen. Dann wäre Covid-19 noch viel schneller als Influenza und in der Tat deutlich weniger tödlich. Es kann auch sein, dass die Dunkelziffer geringer ist und die Krankheit doch viel aggressiver. Niemand weiß das, alle wollen das wissen – aber keiner muss das heute wissen, denn es geht um die nächsten Wochen, um sonst nichts. Wir alle fahren auf Sicht, so ist das nun mal.

Wir wissen, dass eine Welle auf uns zu rollt. Das ist valide statistisch abzuleiten. Ob diese Welle riesig ist und einen kleinen Prozentsatz in die Krankenhäuser treibt oder ob sie moderat ist und einen größeren Prozentsatz schwerer Verläufe erzeugt – das ist momentan egal. Schon klar, für die Bewertung von Immunität, weiterem Vorgehen etc. – ganz entscheidende Fragen. Aber lassen wir doch bitte die Wissenschaftler an den Daten arbeiten, die derzeit weltweit in großen Mengen gesammelt werden. Die finden das schon raus, keine Sorge – aber bitte in klinischen Studien, durch Recherche von tatsächlichen Verläufen, durch akribische Untersuchungen der Diamond Princess etc. Aber keinesfalls in einem biologischen Massenexperiment im Feld, das brauchen wir nicht, außer Opfern bringt das rein gar nichts, nicht mal mehr „Evidenz“ – und wenn wir Glück haben auch keine „Übersterblichkeit“.

Abschließend zur heutigen Datenlage: Die rückläufigen Kurven in Italien, Frankreich und – noch sehr früh – Deutschland bestätigen sich. In Spanien ist tragischerweise das Abknicken zum Stillstand gekommen. Es wird dort zwar nicht wieder schlimmer, aber auch nicht erkennbar besser. Die Kurve geht nur sehr zäh runter und es wundert mich daher nicht, dass die Regierung dort sogar über eine Ausweitung der Maßnahmen nachdenkt. Kann ich nicht bewerten, sie werden hoffentlich konkrete Ursachen kennen und wissen, wo sie hin fassen müssen.

Insgesamt – und das muss ich leider so sagen – sind diese Kurven keine wirklich gute Nachricht, denn außer der Bestätigung, dass wir richtig gehandelt haben, sehen wir leider, dass der Rückgang sehr langsam erfolgt, der erhoffte starke Knick ist nicht in Sicht. Wir brauchen Zeit, das sollten wir akzeptieren. Ich möchte das nicht ohne die Hoffnung erwähnen, dass dieser Knick, wenn er kommt, sehr schnell eintritt und dann auch rasch wirkt – so jedenfalls die Daten aus Asien.

UK und viele andere Länder in Europa zeigen keinerlei Trendwechsel, das ist nicht gut, weil dort dieselbe Situation wie bei uns droht, nur größer, viel größer: Die Zeit, die man am Anfang versäumt, kostet danach nicht nur viele Opfer, sondern umso mehr Zeit zur Bewältigung der ersten Welle. Die USA, auch das keine gute Nachricht, zeigt tendenziell eine weitere Beschleunigung, der Trend geht immer noch in die falsche Richtung. Ich mag das Wort nicht, aber das sieht nach einer humanitären Katastrophe aus, bei der es nur noch um das Ausmaß geht. Diese Krankheit hat ganz sicher wie alle in ihrer ersten Welle auch eine biologische Grenze, die ebenfalls keine kennt – Studien aus UK und jetzt Deutschland mit einer Million Toten bezweifle ich sehr, um hier auch mal etwas in Richtung Hysterie und Panik zu sagen. Ich fürchte aber, dass die USA auf dem Weg sind, diese biologische Grenze zu suchen. Es ist schrecklich!

Was die kommenden Wochen bei uns betrifft: Der Höhepunkt der ersten Welle steht bevor und wir werden dann erst Gewissheit haben, wie hoch die Dunkelziffer bei uns ist. Sorgen macht mir die große Heimkehrerwelle, die sehr sicher unter dem Radar der Tests durchlief. Aber danach hatten wir recht zeitnah den Shutdown. Wir müssen es abwarten. Dass es regional sehr eng wird, sehen wir bereits in Heinsberg. So lange es solche Regionen trifft, kann das national aufgefangen werden. Wenn es einen Großraum mit Zahlen wie Heinsberg erwischt …

Wir wissen es nicht, jedenfalls nicht anhand dieser Zahlen. Bevor wir die nächsten beiden Wochen überstanden haben, sollten wir m.E. den Wodargs das Wort abdrehen und auch nicht weiter in die Zukunft schauen. Das ist nicht panisch, sondern realistisch. In zwei Wochen sieht die Welt bei uns anders aus, das ist jetzt schon klar. Entweder erleben wir eine Tragödie in den Krankenhäusern oder nicht, aber wir werden dann besser darüber nachdenken können, wie es weiter geht, unsere Sicht wird sich aufklaren.

Vielleicht auf eine weit bessere Lage als heute, wir sollten nicht nur diese kurzfristigen Trends bei uns sehen, irgendwann kommt auch bei uns die rasche Abflachung – das ist dieselbe Mathematik!

 

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