Heute Morgen hatte ich die vielen Netzwerke empfohlen, die sich hier gebildet haben – und die Empfehlung ist bestätigt worden. Während ich das schreibe wird die Kanzlerin eine Verlängerung der Maßnahmen bis zum 3. Mai und erste Ideen zur Wiederaufnahme des Schuldbetriebs mit älteren Schülern erläutern. Wer die vielen Kommentare heute über Tag gelesen hat, wird gute Gründe für diese Entscheidung finden und wenig überrascht sein.
Ich fürchte sehr, dass der emotionale Druck, den ich in den letzten Wochen in vielen Diskussionen wahrgenommen habe, durch diese Entscheidung nicht entschleunigt wird. Ob die einen oder anderen PR-Strategen das weiter nutzen, gar anheizen? Wir werden es begleiten, auch hier. Umso mehr hoffe ich, dass Experten, Wissenschaftler und Verantwortliche hinter den Kulissen nun an realisierbaren konkreten Plänen arbeiten. Sie sollten dort verbleiben und nicht mehr auf der Bühne tanzen. Die Ära der Allgemeinplätze verbreitenden Professores ist vermutlich nie vorbei, wir werden es ertragen, auch hier.
Heute sogar gleich zu Beginn zu den Zahlen, die ich wie immer dranhänge: In Deutschland wie gestern, enormer Druck auf die Krankenhäuser, aber der Deich hält. Regional sehr unterschiedlich, bis in kleinste Orte hinein. Tendenziell im Süden mehr, aber es gibt auch immer wieder Orte über das ganze Land verstreut, bei denen Krankenhäuser dicht sind. Das überregionale System fängt sie auf und hoffentlich bleibt das so.
Da heute immer noch Meldungen über Schweden herum gingen: In dem Land ist bereits jetzt eine der schlechtesten Sterberaten pro Kopf festzustellen und die Kurven steigen weiter steiler als in den meisten anderen Ländern Europas. Das Experiment dort ist brutal gescheitert. Belgien sieht schlecht aus, die Niederlande – es ist rund um uns herum sehr schlimm.
In der Schweiz werden nun erste Langzeitstatistiken mit signifikanter Übersterblichkeit festgestellt – in allen Altersgruppen. Es zeichnet sich sogar ab, dass es bei den Jüngeren relativ schlimm aussieht – erste Tendenzen dazu habe ich auch aus den USA. Es ist recht einfach zu verstehen: Da junge Menschen sehr geringe gesundheitliche Sterberisiken haben, ist in den Altersgruppen Covid-19 natürlich – relativ – deutlich erkennbar. Ich vermute, dass wir bald Statistiken sehen, denen zu Folge Covid-19 das größte Sterbefallrisiko Jüngerer ist – noch vor Unfällen. In den USA haben wir Stand heute bereits für das ganze Land eine Übersterblichkeit, dabei beginnt es in vielen Regionen gerade erst. In New York, wo ich diese Zahl nur als Indikator beobachte, ist sie binnen einer Woche von 8% auf nun 40% gestiegen.
Vielleicht werden solche Zahlen, die auch immer mehr Jüngere betreffen, so manche Hässlichkeit aus den Diskussionen nehmen? Ich werde es in den nächsten Tagen mal aufbereiten, obwohl ich noch nie im Leben so viel Erschöpfung beim Umgang mit Zahlen verspürt habe.
Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir brauchen bei uns einen Konsens, den wir bisher in unserer geliebten „Streitkultur“ nicht kennen. Es geht nicht jung gegen alt, gesund gegen vorbelastet. Der ganze Durchseuchungswahn muss enden, es gibt gegen Covid-19 nur eine Strategie: Es nicht zu bekommen!
Dazu brauchen wir Menschen mit Haltung, mit Charakter, die Verantwortung übernehmen, die da hin gehen, wo es weh tut, die Probleme akzeptieren, die sie annehmen, die hart arbeiten und sich nicht mit schnellen Statements vom Acker machen. Menschen, die diese Krise gar für Ihre Profilsucht, Karriereziele, charakterlose Selbstdarstellung oder was auch immer missbrauchen, sind für uns nicht schädlich, sie sind gefährlich.
Mich hat heute ein Mail erreicht, von einem Menschen, der all das repräsentiert, was ich oben geschrieben habe. Dieses Mail ist so voller Kraft, Charakter, Mut, Würde, Aufrichtigkeit, dass mir die Tränen kamen.
Ich möchte heute diese Worte ganz bewusst am Ende meines Textes stehen lassen. Es sind die Worte einer mir bekannten Anästhesistin, die aus Deutschland stammt und nun in UK arbeitet. Sie hat mir erlaubt, ihr persönliches Mail so zu veröffentlichen, dass man die Orte nicht nachverfolgen kann, an denen Sie arbeitet bzw. gearbeitet hat. Sie arbeitet schon 30 Jahre als Intensivmedizinerin, Leid und Tod sind ihr bekannt. Ihre Worte bedürfen keines weiteren Kommentars – ihr letzter Satz ist für mich einfach nur tief ergreifend.
„ Ja, die Situation ist sehr ernst und die Zahlen sind schrecklich…nicht nur hier sondern überall in der Welt.
Deutschland allerdings scheint die Lage gut in den Griff zu bekommen, sie haben früh mit Testen und Isolieren begonnen und das hat sich bewährt. Hinzu kommt die große Betten- und Intensivkapazität und die vielen Labors. Wir haben halt ganz viele, vor allem viele kleine Häuser. In unserem kleinen XXX alleine, gibt es 30 KHs, das ist eigentlich viel zu viel für die Bevölkerung, viele sind unterbelegt und stehen vor der Schließung. Aber in einer Krise wie dieser ist es natürlich super. Da kann man Vielen helfen und die Mortalität niedrig halten und sogar noch Menschen aus anderen Ländern einen Beatmungsplatz bieten.
Im Gegensatz zu GB, hier gibt es nicht so viele KHs, die Betten sind immer zu 100% belegt jeden Tag das ganze Jahr über und der NHS is chronically underfunded und immer der Spielball der Politik. Boris´ Regierung hat spät zu isolieren begonnen und wir haben nicht die Laborkapazität zum testen.
Nichtsdestotrotz tut jeder was er kann. Wir haben die letzten Wochen unendlich viel vorbereitet, alle electives Ops sind gecancelled außer urgent cancer und die Notfälle und die Opsäle sind zu Intensivstationen umgebaut . Unser Haus hat ungefähr 35-40 Intensivbetten und wir können max 90-120 draus machen. Das Rugby Stadium in XXX wurde letzte Woche in ein 2000 Betten KH umgebaut und in XXX ein Konferenzzentrum in eine 4000 Betten Klinik. Aber man braucht auch das Personal dafür und viele Krankenschwestern/pflegern und Ärzte sind auch an dem Virus erkrankt.
Die Schutzkleidung ist weltweit ein Mangel, aber noch haben wir hier was wir brauchen. Firmen, die normalerweise andere Dinge produzieren, haben ihre Produktion auf Schutzkleidung umgestellt. Ist echt irre, was alles möglich ist. In Deutschland ist das auch nicht anders, von einer Freundin habe ich gehört, dass sie ihre Masken mit nach Hause nehmen müssen und im Ofen bei 100 Grad sterilisieren. Das konnte ich fast nicht glauben in unserem tollen Deutschland , das müssen wir Gott sei Dank hier in XXX noch nicht.
Die Patienten, die beatmet werden müssen sind sehr krank und die Mortalität ca 50-60% . Es ist eine neue Erkrankung und wir lernen alle damit umzugehen . Aber von der positiven Seite gesehen, wurden auch schon viele wieder gesund entlassen auch von Intensiv. Wir sehen hier in XXX eher einen langsamen Anstieg der Patienten momentan, ich weiß nicht ob durch den Lockdown die erwünschte Verflachung der Kurve nun eingetreten ist oder ob das Schlimmste noch kommt. Die Berechnungen sagen, dass wir hinter Deutschland liegen und unser peak erst im May kommen soll???
Ich kann irgendwie die Anzahl der potentiellen Patienten und Toten in meinem Kopf nicht verarbeiten, es will einfach nicht rein gehen…
Die Situation ist unglaublich traurig, aber es ist enorm was in den letzten Wochen im unserem KH erreicht wurde und umgebaut und umorganisiert und kommuniziert wurde. Es ist unglaublich, was auch an Zusammenhalt und team spirit zu sehen ist in einer Krise wie dieser. Truly amazing and humbling.
It brings out the best in people .“