1

Eine kleine Lesehilfe für Daten zur Impfstoff-Effektivität

Die beigefügte Grafik zur Dauer der Impfwirkung verschiedener Wirkstoffe habe ich sehr häufig in Social Media gefunden und oft mit so wirren Kommentaren, dass ich hier eine ausführliche Interpretation versuchen möchte.
Zunächst ist anzumerken, dass die Grafik aus einer schwedischen Studie (https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3949410) gewonnen wurde, deren Review noch aussteht. Das ist also eine Grundlage nach ordnungsgemäßer wissenschaftlicher Methodik, deren Diskurs aber noch aussteht. Ich habe die Studie kurz quer gelesen und finde sie relevant. Es wurden knapp 1,6 Millionen Personen, die Hälfte geimpft, die andere entsprechend ungeimpft gewählt. Also eine sehr große Stichprobe. Die Auswahl wurde bewusst so getroffen, dass Alter und Geschlecht in beiden Gruppen exakt identisch sind. Jedoch finden sich beispielsweise bei den Geimpften deutlich mehr Vorerkrankungen, was auch nicht überrascht. Der wissenschaftliche Diskurs wird nun zeigen, ob das bei den Ergebnissen möglicherweise zu berücksichtigen wäre, aber ich setze hier mal voraus, dass diese Daten insgesamt von Tendenz und Größenordnung valide sind.
Bevor die Daten im Detail zu betrachten sind, sollte man verstehen, wie sie grundsätzlich gemeint sind. Das ist trotz einer breiten öffentlichen Debatte über Impfstoffe leider keineswegs allgemein bekannt. Diese Effektivitätswerte verstehen sich ausgehend von der Gruppe der Geimpften auf relative Unterschiede zur Gruppe der Ungeimpften. Wenn da also anfangs ein Effektivitätswert von beispielsweise 95% steht, so heißt das: In der Phase 2-4 Wochen nach der Impfung (in dem Fall zweite Dosis) haben die Geimpften 95% weniger symptomatische Erkrankungen erlitten als die Ungeimpften. Es ist also ein relativer Vergleich zwischen diesen Gruppen.
Wie hoch die absolute Häufigkeit von Erkrankungen war, geht daraus nicht hervor. Wenn daraus also jemand ableitet, 5% der Geimpften erkrankten symptomatisch, so ist das falsch bzw. es wäre nur dann richtig, wenn von den Ungeimpften ALLE symptomatisch erkrankten, was aber nicht der Fall ist. Der Effektivitätswert besagt also, welche VORTEILE ein Wirkstoff bringt. Daher kann das auch nicht mit den potentiellen Folgen einer Infektion verglichen werden. Oft lese ich, 80% der Infizierten hätten keine symptomatische Erkrankung und nach wenigen Wochen sei das bei Geimpften offensichtlich schlechter. Das ist kompletter Unfug, selbst 10% Effektivität bedeuten einen zwar geringen, aber existierenden Vorteil der Impfung.
Nun sehen wir hier aber einen Wert, der sogar negativ wird, nämlich den für Astra nach sechs Monaten. Dazu habe ich den größten Unfug gelesen. Natürlich führt Astra nicht nach sechs Monaten zu einer Infektion oder macht für eine solche anfälliger. Was wir hier aber sehen, ist ein für andere Fragestellungen sehr interessanter Wert, dem man sich nähern kann, indem man auf einen Unterschied in der Methodik zwischen Zulassungsstudien und solchen Feldstudien eingeht: Bei Zulassungsstudien wird beiden Untersuchungsgruppen eine Impfung gegeben, der einen Gruppe wird der Wirkstoff, der anderen ein Placebo appliziert. Beide Gruppen wissen also nicht, ob sie tatsächlich einen Wirkstoff erhalten haben. Das ist methodisch wichtig, um unterschiedliche Verhaltensweisen der Gruppen auszuschließen. Genau das ist aber bei Feldstudien anders, denn hier kennen die jeweiligen Gruppen ihren Impfstatus natürlich.
Der negative Wert von Astra besagt zunächst nur, dass sich ab dem sechsten Monat bei Astra-Geimpften sogar häufiger symptomatische Erkrankungen ergeben haben als bei Ungeimpften. Kausal hat das mit Astra natürlich nichts mehr zu tun. Es ist auch nicht mal klar, ob Astra ab dem Monat keinerlei Schutzwirkung mehr hat. Die mag sogar noch existieren, aber wie hoch oder niedrig sie auch sei, sie wird offensichtlich durch das Verhalten dieser Gruppe überkompensiert. Denn dieser negative Wert ist ein sehr deutlicher Indikator für die These, dass Geimpfte sich vermehrt Infektionsrisiken aussetzen. Ich schreibe hier „Indikator“ und „These“, denn ich weise an der Stelle noch mal auf die Tatsache hin, dass ich in den Daten bei den Geimpften eine höhere Quote von Risikopatienten gefunden habe. Möglicherweise sind diese Werte also noch zu korrigieren und ob es dann bei dem negativen bleibt, wird sich weisen. Mir geht es hier vor allem um die korrekte Interpretation dieses Wertes sowie den Hinweis, dass wir bei einer Feldstudie nicht nur die isolierte Wirkung der Impfstoffe sondern auch mögliche Verhaltensunterschiede der Gruppen sehen.
Damit zu einer Lesehilfe für diese Daten: Insbesondere der negative Wert von Astra KÖNNTE ein Hinweis sein, dass die Gruppe der Geimpften sich deutlich höheren Infektionsrisiken aussetzt, als die der Ungeimpften. Das ist zwar wie gesagt (noch) nicht eindeutig, genügt aber für den Hinweis, dass auch Geimpfte ihre zwar ganz erheblich geringeren, aber weiter existierenden Risiken nicht sinnlos ausreizen sollten. Es ist nachvollziehbar, dass man mit einer Impfung sein Leben wieder möglichst ungezwungen führen möchte, aber auch Geimpfte sollten auf Inzidenzen achten und in der Wintersaison sowie sehr hoher Wahrscheinlichkeit einem Infizierten zu begegnen insbesondere jede Situation in Innenräumen auf deren tieferen Bedarf prüfen. Auch die Impfung ersetzt also die Frage nicht, ob ein Risiko für die gewünschte Aktivität lohnt.
Umgekehrt könnte der negative Wert von Astra aber auch darauf hindeuten, dass Ungeimpfte sich vorsichtiger verhalten, um mal die umgekehrte Relation zu beleuchten. Wenn ich nun aber weiter spekuliere, so haben wir bei den immer noch Ungeimpften eine Gruppe unklarer Größe, die bekanntlich mehr oder weniger offen die Durchseuchung der Gesellschaft propagiert und diese für sich selbst auch konkret betreibt bzw. anstrebt. Das – wie gesagt Spekulation – könnte darauf hinweisen, dass die Ungeimpften keine homogene Gruppe sind, sondern eher in ganz besonders vorsichtige und sogar an einer Infektion interessierte zerfällt.
Ich vermute in der Tat, dass es diese erste Gruppe unter den Ungeimpften gibt und hier möchte ich eine Empfehlung aussprechen: Wer sowohl vor der Impfung als auch der Infektion gleichermaßen Angst hat, sollte sich unbedingt aus diesem Deadlock der Angst lösen und sich der Situation stellen, dass es keinen ungeimpften Schutz gibt. Es gibt bei diesem Virus und den hohen Zahlen, die in unserer Gesellschaft immer wieder erzeugt werden, im Laufe der Zeit nur die Alternative zwischen Impfung oder Infektion. Es ist unrealistisch, sich dauerhaft vor dem Kontakt mit dem Virus zu schützen. Der wird kommen und jeder muss leider entscheiden, ob er diesen Kontakt geimpft oder ungeimpft will. Niemand sollte sich aus Angst vor dieser Entscheidung drücken oder anders ausgedrückt: Die Entscheidung gegen Impfung ist die Entscheidung für die Infektion ohne Schutz. Vielleicht sollten Ungeimpfte mal sehr ehrlich in diese beiden Ängste hinein fühlen und ihre Entscheidung dann noch mal prüfen.
Für Geimpfte sowie für diejenigen, die aus der Tabelle gerne die Sinnlosigkeit der Impfungen ableiten, gilt: Beginnend mit vier Monaten sinkt die Effektivität der Impfungen offensichtlich bei allen Wirkstoffen. Der Wiederanstieg bei der Kreuzimpfung Astra/Biontech&Moderna zeigt übrigens, dass wir es hier nicht mit einer präzisen Messtechnik, sondern mit einer Statistik, hinter der komplexe Wirkungsmechanismen stecken, zu tun haben. Natürlich ist das nicht die biologische Wirkung dieser Kreuzimpfung, die sich nach einem Rückgang plötzlich wieder verstärkt, sondern ein statistischer Effekt in den zugrunde liegenden Daten, der vielleicht darauf zurückzuführen ist, dass in dieser Gruppe nach vier Monaten beispielsweise zufällig besonders viele ins Homeoffice versetzt wurden – oder was auch immer.
Genau solche Effekte in den Daten sollten also deutlich machen, dass wir es hier mit einer sehr komplexen Wechselwirkung von tatsächlichen biologischen Wirkungsmechanismen und gesellschaftlichen Verhaltensweisen zu tun haben. Eine Impfung ist kein Virenfilter mit einer physikalisch definierten und berechenbaren Wirkungsweise. Das ganze Thema besteht aus Wahrscheinlichkeiten und die bedeuten für das Individuum positive wie negative Chancen. Eine Impfung ist in der Tat besser mit dem Begriff der „Chance“ beschrieben und keinesfalls mit dem der „Sicherheit“. Wenn ich auf einen Berg gehe und eine gute Ausrüstung mitnehme, habe ich bessere Chancen, keinen Unfall zu erleiden. Wenn ich mich mit guter Ausrüstung aber wie ein Depp verhalte, kann ich trotzdem abstürzen, dann habe ich zu 100% den Schaden und die Ausrüstung hat 0% verhindert.
Gesamtgesellschaftlich ist diese Rechnung übrigens dann doch sehr präzise, denn hier gilt: Selbst eine Chance, dass Geimpfte 30% weniger symptomatische Erkrankungen erleiden, bedeutet sehr präzise eine um 30% geringere Belastung des Gesundheitssystems durch diese Gruppe. Individuell mag das so oder so ausgehen, in der Gesamtheit sehen wir diese 30% definitiv und daher ist selbst so ein oft als „Versagen“ der Impfstoffe eingestufter Wert auf Ebene des Gesamtsystems, das mal wieder um jeden Millimeter ringen muss, hoch willkommen. Dasselbe gilt für alle anderen Werte, die nicht in die Grafik geflossen sind, also Schutz vor Infektion, Schutz vor schwerer Erkrankung, Schutz vor Sterbefall etc: Selbst 10% weniger Fälle in einer zudem sehr großen Gruppe helfen uns und unserem Gesundheitssystem. Es ist einfach falsch und oft doch typisch deutsch, ein Instrument, dass nicht 100% „sicher“ ist, als untauglich einzustufen.
Zugleich ist dieses Chart vollkommen richtig als Aufruf zur Booster-Impfung durchaus bereits nach vier Monaten zu sehen. Diese Empfehlung gilt aus meiner Sicht momentan deshalb, weil wir mit sehr hohen Inzidenzen gerade in den Winter kommen. Wäre es Frühjahr, könnte man die sechs Monate ausreizen, denn das Gesamtrisiko besteht ja auch der Wahrscheinlichkeit, überhaupt einem Infizierten zu begegnen. Leider wird dieser Umstand bei der Stiko-Empfehlung nicht berücksichtigt. Deren letzte Aussage besagt, dass auch ab fünf Monaten die Impfung bereits erfolgen kann. Meine Empfehlung lautet, darauf wegen der aktuell hohen Umfeldrisiken keine Rücksichtig zu nehmen: Bereits ab vier Monaten besser mit Auffrischung durch diesen Winter!

Beitrag teilen:

Ähnliche Beiträge