Foto von olieman.eth auf Unsplash

Können wir einen großen Teil unserer Schulden einfach streichen?

Bereits zur – bis heute nicht abgeschlossenen – „Löschung“ der Finanzkrise hatten Notenbanken und Staaten in zuvor nicht gekanntem Ausmaß Geld geschöpft und in Umlauf gebracht. Eine Folge sind gigantisch gestiegene Bilanzen der Notenbanken sowie weiter gestiegene Schuldenberge von Staaten, Unternehmen und Privathaushalten. Bis zur Corona-Krise gab es 2019 einen einzigen, sehr vorsichtigen Versuch der FED, aus dieser Geldpolitik auszusteigen. Die heftige Reaktion der Kapitalmärkte beendete den Versuch sehr rasch. Dann schlug Covid-19 zu und das Anti-Krisenprogramm wurde sogar noch stärker beschleunigt als jemals zuvor.

Die Diskussion über ein Ende der Schuldenspirale wird sehr unterschiedlich geführt.

Während in Deutschland vor allem über eine erforderliche Haushaltsdisziplin gesprochen wird, ist international die Frage, wie die bestehenden Schulden zumindest deutlich reduziert werden können, zunehmend auf dem Tisch. Wir sollten uns der Tatsache stellen, dass die Fragen von Haushaltsdisziplin und Kürzung der Schuldenberge nicht nur beide auf dem Tisch liegen, sondern dass sie untrennbar miteinander verknüpft sind. Es macht keinen Sinn, darüber zu streiten, was Haushaltsdisziplin überhaupt bedeutet, wie sie einzuhalten ist und welche Mechanismen man dazu braucht, ohne eine Lösung für die existierenden Schuldenberge zu entwickeln. Wer letzteres ausblendet, es gar als Tabu betrachtet, überhaupt darüber nachzudenken, dass Schulden vielleicht gar nicht zurückgezahlt werden, wird beim Thema der Haushaltsdisziplin wenig erreichen.

Ein Schuldenschnitt sollte unbedingt vermieden werden.

Die historischen Lösungen von Schuldenkrisen waren in der Regel Schuldenschnitte: Alle Gläubiger müssen dabei auf einen Teil ihrer Forderungen, bei Totalausfall auch auf alles verzichten. Das ist bei der Zahlungsunfähigkeit die unvermeidliche Folge. Trifft es dabei Staaten, hat das oft eine Währungsreform zur Folge. Diese Maßnahmen sind stets eine gigantische Umverteilung mit vielen Verlierern und sehr abstrakten Gewinnern. Natürlich gewinnen Staaten, deren Bürger und insbesondere unter diesen die Steuerzahler wieder finanzielle Handlungsfähigkeit, wenn die Staatsschulden verschwinden. Bei einer Währungsreform verlieren aber von Sparern bis zu Altersvorsorgeeinrichtungen alle Geldwerte oder geldwerte Forderungen (Renten, Pensionen etc.) ganz oder teilweise ihren Wert und das trifft unmittelbar sehr viele. Die Primärgläubiger, die ihre Forderungen bei einem Schuldenschnitt abschreiben müssen, sind zwar überwiegend Banken, Versicherungen und institutionelle Anleger, aber dahinter stehen deren Kunden: Sparer, Anleger, Versicherungsnehmer, Rentner, Pensionäre. Ein großer Schuldenschnitt bleibt nicht ohne Folgen für die Bürger. Es gibt in der Tat kaum ein Beispiel einer Staatspleite, das mit vielen lachenden Gesichtern überliefert wäre. Daher gilt dies zurecht als Schrecken, der zu vermeiden ist.

Müssen die Schulden überhaupt zurückgezahlt werden.

Insbesondere Staaten werden ihre Schulden letztlich niemals vollständig zurückzahlen, sie sollten dies auch nicht tun, selbst wenn es möglich wäre. Schließlich gibt es ohne Schulden auch kein Sparen. Ein Kapitalmarkt, an dem Sparer, Versicherer, Altersvorsorgewerke etc. ihr Geld planbar – also sicher und fest verzinst – anlegen können, ist ohne Schulden nicht möglich und die Staatsschulden spielen hier die primäre Rolle. Deshalb nehmen sogar Staaten wie Norwegen, die aufgrund ihrer Ölvorkommen Überschüsse im Staatshaushalt haben, am Kapitalmarkt Schulden auf, damit ein solcher in heimischer Währung überhaupt existiert.

Schulden sind also nicht per se etwas „Schlechtes“, das aus der Welt zu schaffen ist. Sie sind vielmehr ein nützliches Instrument, welches letztlich eine Fristentransformation leistet: Sparer können heute nicht benötigtes Geld anlegen, Schuldner können sich heute nicht vorhandenes Geld beschaffen. Daher kann es eine Welt ohne Schulden nicht geben, es geht vielmehr um etwas anderes: Die Schuldentragfähigkeit. Das heißt bezüglich des Sparers/Gläubigers nichts anderes, als dass er sich darauf verlassen kann, seine Zinsen zu erhalten und nach Ablauf einer vereinbarten Frist sein Geld zurück zu bekommen. Seitens des Schuldners verlangt das die Fähigkeit, die Zinsen zu leisten und bei der Fälligkeit einen anderen Gläubiger zu finden, der das Geld bereitstellt.

Problem ist alleine die Schuldentragfähigkeit.

Um die Schuldentragfähigkeit gibt es nun seit einigen Jahren vermehrt Diskussionen. In der Euro-Zone wurde bekanntlich mal – ohne eine tiefere Begründung – vereinbart, dass 60% der BIP eines Staates als Schuldenobergrenze anzustreben seien. Das gilt demnach als tragfähig. Nun ist diese Quote alleine deshalb für sich genommen verkürzt, weil es im Sinne einer ewigen Umschuldung letztlich natürlich darauf ankommt, dass die Zinsen gezahlt werden können – und die hängen neben dem Schuldenstand vom Zinsniveau ab. Genau das war über lange Zeit das eigentliche Disziplinierungswerkzeug: Wenn die Zinslasten in einem Staatshaushalt zu hoch wurden und die Kapitalmärkte Zweifel an der Schuldentragfähigkeit entwickelten, verlangten sie für neue Anleihen sehr schnell höhere Zinsen, was die Zinslasten also sofort erhöhte und den finanziellen Spielraum der Regierungen einengte. Diese Spirale musste jeder Finanzminister fürchten und entsprechend war eine beliebige Neuverschuldung nicht möglich und die Kapitalmärkte fungierten als Mechanismus, die Höhe der Tragfähigkeit festzustellen. Die Zinssätze waren dabei der Maßstab.

Der Zins hat seine disziplinierende Funktion verloren.

Der Zins als disziplinierender Mechanismus hat in Europa erstmals an Bedeutung verloren, als der Euro ohne Regelung für das Ausscheiden eines Staates, insbesondere durch eine Insolvenz, eingeführt wurde. So gibt es im Euro-System zwar besagte Grenzwerte und grundsätzlich auch – schwache – Sanktionen zu deren Durchsetzung, aber die Kapitalmärkte haben sehr bald das Szenario erkannt, dass eine Staatspleite im Euro-System so schnell nicht kommt. Die Zinssätze der Euro-Staaten näherten sich daher rasch an und spiegelten die Schuldentragfähigkeit der Einzelstaaten immer weniger.

Weitaus stärker als die in dieser Frage lückenhaften Euro-Verträge wirkt jedoch die Notenbankpolitik spätestens seit der Finanzkrise, weshalb das Thema heute keinesfalls auf die Euro-Zone beschränkt ist. Spätestens mit der Rettung des Finanzsystems begann eine nun mit der Corona-Krise nicht mehr so einfach reversible Staatsfinanzierung durch die Notenbanken. In den USA funktioniert das ohne Umwege, hier erwirbt die FED direkt die von der Regierung aufgelegten Staatsanleihen. Der EZB ist das verboten, weshalb sie die Anleihen von Dritten über die Kapitalmärkte oder direkt aus dem Finanzsystem aufnimmt. Das ist aber eher eine rechtliche gebotene „Gestaltung“, die nur den Geldfluss ein wenig verändert. Letztlich ist es überall auf der Welt identisch: Die Notenbanken schaffen frisches Geld, indem sie Anleihen der eigenen Staaten aufkaufen, durch deren Haushalte das Geld in Umlauf kommt. Die moderne Form der Druckerpresse.

Ohne Notenbanken besteht keine Schuldentragfähigkeit mehr.

Diese enorme Geldschöpfung führte nicht nur zu einem Schuldenstand, den die Kapitalmärkte ohne dieses neu erzeugte Geld niemals hergegeben hätten, es erlaubte den Notenbanken zudem, noch viel direkter als über die nur indirekt wirkenden kurzfristigen Leitzinsen auf das allgemeine Zinsniveau einzuwirken. Diese „Manipulation“ war notwendig und beabsichtigt. Die Finanz- und Covid-Krise erforderten solche außergewöhnlichen Maßnahmen, um Staatshaushalte und Realwirtschaft zu stützen. Es ist abgesehen von extremen Echokammern unstrittig, dass diese Politik notwendig und auch erfolgreich war.

Diese Notenbankpolitik bleibt aber nicht ohne Folgen.

Gerade wegen der derzeitigen Abhängigkeit von der Notenbankpolitik ist es unerlässlich, die Folgen dieser Geld- und Finanzpolitik zu beachten, was letztlich auch die Frage des Ausstiegs aufwirft. Auch hier gilt, dass jenseits extremer Echokammern niemand den erforderlichen Ausstieg oder zumindest die Reduzierung für erforderlich hält. Unstrittig sind weitgehend die Folgen für die Inflation von Sach- und Vermögenspreisen durch diese Geldflut. Das hat bereits gesellschaftlich/soziale Folgen, denn die Vermögensspreizung, vor allem aber die daraus entstehenden Mehrbelastungen insbesondere für Wohnkosten, sind seit Jahren zu beobachten, ohne dass ein Rezept erkennbar wäre, wie dem zu begegnen ist.

Ebenfalls sehr kritisch ist das enorm expandierte Finanzsystem zu sehen, das leider sehr viel dieses geschöpften Geldes absorbiert hat, das daher nicht in die Realwirtschaft gelangt. Das verhindert nicht nur den eigentlichen Zweck der Geldschöpfung, es führt auch zu intransparenten Instabilitäten im Finanzsystem selbst, denn auch hier hat der Zins seine Funktion der Risikoabwägung verloren. Diese Notenbankpolitik wurde mal begonnen, um ein Finanzsystem zu stabilisieren, das sich gehörig verspekuliert hatte und nun müssen wir nach mehr als einer Dekade Rettungsprogramm erkennen, dass es noch größer, noch intransparenter und sehr wahrscheinlich noch anfälliger geworden ist. Tatsächlich ist eine Revision der Notenbankpolitik nicht nur für die Staatshaushalte ein Risiko, sondern auch für das Finanzsystem. Das darf aber nicht dazu führen, diesen notwendigen Weg auf ewig zu verschieben, denn es wird durch weitere Geldschöpfung und künstliche Zinsreduktion ja nicht besser, sondern immer schlimmer.

Wer diese Notenbankfinanzierung mit der erforderlichen kritischen Distanz betrachtet, räumt zudem bereits länger ein, dass sich hier eine Spirale aus Fehlanreizen für die Staatshaushalte entwickelt hat, die nicht ewig weiter laufen kann. Der Zins wurde nahezu abgeschafft und die Schuldentragfähigkeit damit ins Unendliche verschoben, weshalb es für Regierungen eigentlich nur noch positive Anreize gibt, neue Schulden aufzunehmen. Selbst Enthusiasten einer monetären Staatsfinanzierung ist klar, dass es hier „irgendwelcher“ Grenzen bedarf, dass die dauerhafte Abschaffung des Zinses zu viele weitere negative Effekte hat – für die Stabilität des Finanzsektors insbesondere – und dass die Sache irgendwann auch den Geldwert selbst gefährden dürfte.

Die Inflation beschleunigt die Debatte.

Ausgerechnet die Corona-Krise hat nicht nur eine weitere Expansion der Schulden, sondern nun auch die letzte mögliche Folge einer zu expansiven Geldpolitik ausgelöst: Die Inflation ist wieder da. Dieses Thema wird im Unterschied zur Frage des Schuldenstands aktuell äußerst kontrovers bewertet. Es sollte in der Tat nicht zu hysterisch betrachtet werden, zumal regional sehr unterschiedliche Ursachen und mögliche Gegenmaßnahmen erkennbar sind. Während beispielsweise die USA gegen die Corona-Krise bereits unter Trump und dann nochmals unter Biden mit inzwischen erkennbar viel zu großen Stimulus-Paketen die Konjunktur überhitzt haben, ist das in Europa so nicht erkennbar. Energie- und Rohstoffmärkte sowie zerrüttete Lieferketten sind die Auslöser für den Preisschub, der nun auf verschiedene Voraussetzungen trifft, die sich jedoch kurzfristig recht gut wieder einfangen lassen sollten. Wenn die Notenbanken und die Finanzpolitiker nun besonnen reagieren, wird man vermutlich in Zukunft diesen Inflationsschub eher als letzten Anlass erkennen, aus dieser Art der notenbankfinanzierten Schuldenpolitik auszusteigen.

Wie kann ein Ausstieg gelingen.

Wer das realistisch betrachtet, wird erkennen, dass es nicht möglich ist, die Finanzierung durch die Notenbanken zurück zu fahren, das Zinsniveau wieder anzuheben, dabei den Kapitalmärkten wieder die Prüfung der Schuldentragfähigkeit zu übertragen, ohne vorher den Schuldenstand zu reduzieren. Spätestens mit der Covid-Krise reift die Erkenntnis, dass dies auch nicht durch einen sehr langsamen Ausstieg der Notenbanken gelingen kann. Das wäre vielleicht 2019 noch möglich gewesen, als man rechnerisch vielleicht über eine Dekade des Übergangs mit einer sehr langsamen Reduzierung der Notenbankbilanzen und einem entsprechend maßvollen Anstieg der Zinsen den Schuldnern genug Zeit für ein Abbau des Schuldenstands hätte geben können. Dabei wäre eine maßvolle Inflation übrigens ein willkommener Partner gewesen.

Die meisten nicht dogmatisch eingestellten Experten sind sich inzwischen einig, dass eine Rückkehr zu einer Normalisierung von Kapitalmärkten und den Bedingungen für Schuldner nicht ohne eine initiale und sehr deutliche Entschuldung möglich ist. Klar ausgedrückt: Dieser Schuldenstand lässt sich durch eine Sparpolitik in den Staatshaushalten nicht mehr realistisch reduzieren. Die dazu erforderlichen Überschüsse in den Haushalten sind nicht zu erwirtschaften. Tatsächlich sind zu viele Staaten längst überschuldet und ohne die weitere Unterstützung durch die Notenbanken besteht keine Schuldentragfähigkeit mehr.

Konsequenz: Die Schulden müssen runter.

Hier rücken nun – leider in Deutschland von vielen tabuisiert – die Schulden, die bei den Notenbanken liegen, in den Fokus. Um einen allgemeinen Schuldenschnitt zu vermeiden, wird daher inzwischen sehr offen diskutiert, einen einseitigen Schuldenerlass der von den Notenbanken gehaltenen Staatspapiere durchzuführen. Das wäre eine erhebliche Kürzung der Staatsschulden: In der Euro-Zone hält die EZB inzwischen ein Drittel aller Staatsschulden in den eigenen Büchern, in den USA nähert sich die FED bald der Hälfte.

Wenn man es einfach sieht, kann man sagen, dass wir einen großen Teil unserer Schulden uns selbst schulden und grundsätzlich sollte es doch möglich sein, die schlicht verschwinden zu lassen?

Die Diskussion über die Streichung der Notenbank-Forderungen ist längst da.

Tatsächlich ist weltweit eine mehr oder wenige offene Diskussion im Gang, wie man rein rechtlich und „technisch“ die Staatsschulden, die von den Notenbanken gehalten werden, streichen kann. Wir sollten das gerade in Deutschland nicht mehr als Tabu betrachten, sondern erkennen: Es wird so kommen, weil es so kommen muss und weil es der beste Weg ist. Er ist aber nicht so einfach, wie es sich zunächst anhört, dieser Weg muss gut gestaltet werden. Je früher, klarer, offener und zielstrebiger die Diskussion geführt wird, desto mehr Gestaltung kann man ihm geben – auch und gerade aus deutscher Sicht.

Zunächst fällt auf, dass die möglichen Mechanismen in den verschiedenen Ländern höchst unterschiedlich sind. Eine rechtlich sehr einfache Lösung, die überall möglich wäre, ist die Umschuldung auf eine ewige Frist. Dazu könnten die Staaten den Notenbanken zum Tausch der bestehenden Anleihen neue anbieten, die 100 Jahre oder noch länger laufen und unverzinst sind. Das hätte seitens der Notenbanken keinen Einfluss auf die Bilanz, hier würden die Schulden weiter mit ihrem Wert angesetzt. Der unschöne Effekt seitens der Staaten wäre, dass man hier ebenfalls Schulden weiterführen muss, die zwar „eigentlich“ gar nicht da sind, die nichts kosten und deren Rückzahlung auch niemals eintreten wird, die man aber aus „Gründen der Vollständigkeit“ weiter auszuweisen hat. Generationen von Studierenden müssten lernen, dass es in den Staatshaushalten echte und unechte Schulden gibt.

Daher werden klarere Modelle erwogen. In den USA wird beispielsweise diskutiert, das Finanzministerium können sein altes Recht, selbst Münzen zu prägen, einsetzen. Dazu wäre eine 10 Billionen Dollar Münze – als die Diskussion begann sprach man noch von der Hälfte – zu prägen, mit der man bei der FED die eigenen Schulden tilgen könnte. Die FED würde diese Münze akzeptieren, in einem sehr guten Tresor aufbewahren, da sie ja ein gesetzliches Zahlungsmittel entsprechender Höhe ist und in der Bilanz die Münze statt der Staatsschulden führen. Die USA wären im Gegenzug einen großen Teil ihrer Staatsschulden los.

An dieser eher unrealistischen Planung erkennt man, wie ernst die Debatte ist und dass es um kreative Lösungen geht. Anzustreben wäre natürlich eine klare Regelung, bei der die Staaten die Schulden abschließend los werden und die Notenbanken nicht irgendeine „kreative“ Buchhaltung benötigen. Wenn eine Notenbank den Staaten die von ihr gehaltenen Schulden erlässt, muss sie diese grundsätzlich abschreiben. Dadurch würde ihr Eigenkapital negativ. Ein Szenario besteht daher darin, genau das einfach zuzulassen. Also die Notenbank mit negativem Eigenkapital weiter zu führen. Sie hat keine Gläubiger, die zu schützen wären, sie braucht kein Eigenkapital. Nachteil wäre bei dem Modell jedoch die Frage, wie man mit zukünftigen Überschüssen der Notenbank verfahren könnte: Tatsächlich generieren Notenbanken hohe Zinsüberschüsse aus dem Bankensektor und die erfreuen als jährliche Ausschüttung jeden Finanzminister. Bei einem negativen Eigenkapital wären Ausschüttungen normalerweise nicht möglich. Man müsste also für die Notenbanken hier Ausnahmen schaffen, die bei jedem Unternehmen schlicht Bilanzbetrug wären. In einigen Ländern wird daher sogar diskutiert, ob man im Rahmen des Schuldenerlasses gar die Notenbank kurz in eine Insolvenz schickt, um das negative Eigenkapital los zu werden.

Wie immer ist das alles im Euro-System noch viel komplizierter. Tatsächlich wird von vielen Gegnern der Idee deren rechtliche Unmöglichkeit ins Feld geführt. Arne Hansen und Dirk Meyer haben dazu Anfang 2021 einen Aufsatz vorgelegt, der das widerlegt: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zfwp-2020-2039/html?lang=de

Die Autoren schlagen hier grob zusammengefasst eine Zweckgesellschaft, eine EU-Schuldenagentur vor, in die die Staatsschulden letztlich ausgebucht werden und die diese als Schattenhaushalt weiterführt, der dadurch weder in den Staatshaushalten, noch in der EZB-Bilanz weiter auftaucht. Die Autoren argumentieren schlüssig, dass dieser Mechanismus sogar unter geltendem Recht möglich wäre.

Die rechtliche und „technische“ Gestaltung ist nicht das primäre Thema.

Die aufgezeigten Konzepte zur Durchführung eines Schuldenerlasses belegen nicht nur, dass die Diskussion bereits in vollem Gang ist, sie zeigen auch, dass es nicht an rechtlichen Hürden scheitert. Solche Argumente sind vorgeschoben. Tatsächlich sollten ganz andere Themen im Vordergrund stehen, denn es ist wichtig, dass so eine Maßnahme nicht mal eben so durchgeführt wird. Es ist zwar richtig, dass wir diesen Teil der Schulden selbst halten, aber deren Streichung bleibt nicht ohne Folgen – und die gilt es sehr genau zu betrachten.

Dazu zunächst ein Blick auf die Grundfunktionen unseres FIAT-Geldsystems. Hier wird bekanntlich durch Schulden neues Geld geschaffen. Das erfolgt primär bei den Banken, wenn sie Kredite vergeben. Wenn die Notenbank von den Staaten Anleihen kauft, schöpft sie selbst aber auch neues Geld. Früher war die direkte Geldschöpfung durch die Notenbanken gering, inzwischen spielen sie dabei eine große Rolle. Kritiker des FIAT-Systems reiten gerne auf dieser scheinbar uferlosen Geldschöpfung herum, übersehen dabei aber, dass bei der Tilgung von Schulden dieses Geld auch wieder vernichtet wird. Das FIAT-System besteht also aus einer sehr agilen Schöpfung und auch Vernichtung von Geld. Ob die Geldmenge dabei netto wächst oder zurück geht, kann die Notenbank – wenn sie es denn wieder kann – durch die Leitzinsen und inzwischen auch komplexere Instrumente steuern.

Hier ist die erste Folge eines solchen Schuldenerlasses festzustellen: Die Vernichtung dieses Geldes ist dann nicht mehr möglich. Wenn diese Schulden erlassen werden, wird keine Tilgung mehr stattfinden. Diese nicht geringe Geldmenge ist damit niemals mehr aus dem Verkehr zu nehmen. Das Geldsystem hätte hier also bezüglich der Geldmenge einen erheblichen Sockelbetrag, unter den es nicht mehr fallen kann.

Ein Schuldenerlass in dieser Größe und auf diese Art muss zwingend einmalig sein.

Bereits die Überlegung zur Geldmengensteuerung führt zu einer sehr klaren, aber operativ nicht einfachen Feststellung: Dieser Schuldenerlass muss eine einmalige Aktion sein. So eine große Geldmenge auf ewig nicht mehr reduzierbar im Umlauf zu halten, darf sich nicht wiederholen, sonst kann die Geldwertstabilität nicht erhalten bleiben.

Dieselbe Feststellung gilt aber mit Blick auf die künftige Haushaltsdisziplin der Regierungen. Wenn es als kostenloses Instrument verstanden wird, sich bei der eigenen Notenbank beliebig Geld zu leihen, um das alle Dekaden dann abzuschreiben, kann so etwas wie Haushaltsdisziplin noch weniger existieren als unter den aktuellen Bedingungen, die seitens der Regierungen zumindest noch den theoretischen Zwang beinhalten, die Schulden irgendwann dann doch zurückführen zu müssen. Auch hier gilt: Als Regelinstrument wäre so ein Instrument zwingend der Ruin für das Geldsystem.

Hier führen nun tatsächlich die Diskussionen über eine – unstrittig erforderliche – Haushaltsdisziplin und deren Ermöglichung durch einen initialen, aber einmaligen Schuldenerlass zusammen. Das eine geht nicht ohne das andere – und das gilt auch für den Schuldenerlass. Dieser kann also nur durchgeführt werden, wenn zugleich klare Regelungen und diese auch sicherstellende Mechanismen über die zukünftige Haushaltsdisziplin vereinbart werden. Dazu gehört insbesondere der Verzicht oder zumindest die Begrenzung, die Staatsfinanzierung über die Notenbanken zu unterstützen. Ein Schuldenerlass muss mit einem finalen Ausstieg aus dieser Notenbankpolitik verbunden werden.

Das ist die große Chance ein solchen Schrittes: Die Staaten könnten wieder zu normalen Haushalten zurückfinden, die Notenbanken wären in ihrer Zinspolitik freier und die Kapitalmärkte könnten ihre Funktion zur Refinanzierung von Staaten wieder aufnehmen. Genau diese Normalisierung müsste aber rechtlich sichergestellt werden und der Rückfall in so ein Notprogramm wäre auszuschließen.

Nur mit einer sehr überzeugenden Regelung der Einmaligkeit und der darauf folgenden Normalität könnte so ein „legalisierter Bilanzbetrug“ gigantischen Ausmaßes ohne einen Vertrauensverlust in das Geldsystem durchgeführt werden. Denn hier liegt das eigentliche Risiko des Schritts: Wenn die Bürger oder die Kapitalmärkte der Solidität des Vorgangs nicht vertrauen, kann nichts geringeres als das Geldsystem zugrunde gehen, denn dieses basiert ganz wesentlich auf: Vertrauen!

 

Beitrag teilen:

Ähnliche Beiträge