Einige Diskussionen über die Situation der Ukraine erinnern an Rambo-Filme und den Höhepunkt des Kalten Kriegs. Wenn man nur Gedanken über einen Weg nach der militärischen Erschöpfung der Ukraine äußert, kommen Defätismus-Vorwürfe. Es ist aber gerade keine bedingungslose Unterstützung der Ukraine, nur den Kampf gegen eine materiell und strategisch im Vorteil befindliche russische Armee zu sehen. Es ist gerade nicht die erforderliche Perspektive, Putins Expansionsdrang insgesamt zu stoppen, wenn dies auf den militärischen Widerstand und den dort aktuell ausgefochtenen Krieg in der Ukraine begrenzt wird.
Wir brauchen einen Plan, wie es für den Fall der militärischen Erschöpfung der Ukraine weiter gehen kann. Für die Ukraine selbst, für Europa, gegen den Expansionsdrang Putins. Dazu ist es auch erforderlich, ich wiederhole das trotz der teilweise heftigen Reaktionen, Putin einen Ausgang zu bieten.
Wer hingegen glaubt, diese Krise sei durch diesen Krieg in dieser Ukraine zu entscheiden, gar bis zum Untergang Putins selbst zu führen, unterschätzt deren Dimension und reduziert die Unterstützung für die Ukraine auf deren Rolle als Kriegsfront.
Ebenso ist es sowohl aus strategischen als auch humanitären Gründen richtig, die Vermeidung eines sinnlosen Vernichtungskriegs anzusprechen. Wer außer einer alternativlosen Endkampf-Strategie bereits jeden anderen Gedanken zurückweist, sollte vielleicht bedenken, in welche Situation es führt, wenn wir weitere Grosnys zu sehen bekommen und dieser Endkampf vor allem nur Zerstörung, Leid und Tod sowie eine immer unauflösbarere Konfrontation schafft.
Es ist ein sehr wichtiges Signal, dass die Strategen in den USA hier nicht an John Rambo denken. Die Drohung Putins mit den Atomwaffen wurde seitens des Weißen Hauses schlicht durch die Klarstellung beantwortet, man ändere am Alarmzustand der US-Atomstreitkräfte gar nichts. Ferner wurde explizit ein länger geplanter Raketentest abgesagt. Die New York Times berichtet nun, welche weiteren Gedanken im Weißen Haus entwickelt werden. Diese bestehen aus einer Fortsetzung der insbesondere für das russische Geld- und Finanzsystem offensichtlich sehr schnell wirksamen Sanktionen, aber zugleich auch die Entwicklung von Konzepten zur Deeskalation. Wir dürfen davon ausgehen, dass diese Richtung für die Nato-Staaten insgesamt gilt.
Der Beitrag liefert keine Lösung für diese gefährlichste Krise seit dem zweiten Weltkrieg, das ist auch nicht möglich. Die Situation ist ausgesprochen verfahren. Putin hat sich auf eine Weg begeben, der für sein System momentan außer Sieg und Niederlage kaum Gestaltung bietet. Er dürfte aber erkannt haben, dass der Preis selbst für einen Sieg zu hoch ist, dass er die Isolation in weiten Teilen der Welt unterschätzte. Die Entwicklung ist hoch dynamisch, es ist vor allem auf den Kriegsschauplätzen eine weitere grausame Eskalation zu befürchten. Ebenso wird befürchtet, dass die Russen ihre Aggressionen beispielsweise durch Cyber-Angriffe auch direkt auf Europa und die USA ausdehnen.
Es kann ohne Putin keine Deeskalation geben und so lange dieser weiter eskaliert, müssen entsprechende Antworten vorbereitet werden. Das reicht von den Sanktionen über die Verstärkung der Nato-Truppen in den Grenzregionen bis zur weiteren militärischen Unterstützung der Ukraine. Ich übersetzte einige Passagen aus dem Beitrag.
„Hochrangige Beamte des Weißen Hauses, die die Strategie zur Konfrontation mit Russland entwerfen, haben begonnen, im Stillen eine neue Sorge zu erörtern: dass die gegen Moskau gerichtete Sanktionslawine, die schneller an Fahrt gewonnen hat, als sie es sich vorgestellt hatten, Präsident Wladimir W. Putin in die Enge treibt und ihn zu einem Ausbruch veranlassen könnte, der den Konflikt vielleicht über die Ukraine hinaus ausweitet.“
„Amerikanische Geheimdienstmitarbeiter haben dem Weißen Haus und dem Kongress mitgeteilt, dass Putin dazu neigt, einen Gegenschlag zu führen, wenn er sich durch seine eigene Übertreibung in die Enge getrieben fühlt. Sie haben daher eine Reihe möglicher Reaktionen beschrieben, die von wahllosem Beschuss ukrainischer Städte, um die frühen Fehler seiner Invasionstruppen auszugleichen, über Cyberangriffe auf das amerikanische Finanzsystem bis hin zu weiteren nuklearen Drohungen und vielleicht sogar einer Ausweitung des Krieges über die Grenzen der Ukraine hinaus reichen.“
„Bidens Politik ziele nicht auf einen Regimewechsel in Russland ab. Die Idee sei, Putins Handlungen zu beeinflussen, nicht seinen Griff nach der Macht. Und die Sanktionen seien nicht als Strafe gedacht, sondern als Druckmittel, um den Krieg zu beenden. Sie werden eskalieren, wenn Putin eskaliert. Aber die Regierung würde ihre Sanktionen kalibrieren und vielleicht reduzieren, wenn Herr Putin anfängt, zu deeskalieren.“
„Putins Ansichten über die Ukraine sind hartnäckig. Es scheint unwahrscheinlich, dass er ein Ergebnis akzeptieren wird, das nicht seinem Ziel entspricht, die Ukraine näher an Russland heranzuführen. Und insbesondere nach der schwachen Leistung des russischen Militärs in der ersten Kriegswoche könnte er befürchten, dass jeder Hauch eines Scheiterns seine Machtposition schwächen könnte.“
„Mitglieder des Kongresses haben auch Bedenken geäußert, dass Putin Moskaus Netzwerk krimineller Hacker entfesseln könnte, die Ransomware-Angriffe durchgeführt haben, die Krankenhäuser, Fleischverarbeitungsbetriebe und das Colonial Pipeline-Netzwerk lahmgelegt haben, das fast die Hälfte des Benzins, Diesels und Flugzeugtreibstoffs an der Ostküste transportierte.“
„Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass Putin damit droht, weiter in die Republik Moldau oder Georgien vorzudringen, die wie die Ukraine nicht Mitglied der NATO sind – und damit in Gebiete, in die die amerikanischen und die NATO-Truppen nicht eindringen würden.“
„Der nächste Schritt Putins wird jedoch wahrscheinlich darin bestehen, seine Operationen in der Ukraine weiter zu intensivieren, was mit ziemlicher Sicherheit zu mehr zivilen Opfern und Zerstörungen führen würde. „Das war kein Kinderspiel für Putin, und jetzt hat er keine andere Wahl, als noch einen draufzusetzen“, sagte Beth Sanner, eine ehemalige hochrangige Geheimdienstmitarbeiterin. „Das ist es, was Autokraten tun. Sie können nicht weglaufen, sonst sehen sie schwach aus.“