Autokratische Systeme sind oft dadurch gekennzeichnet, dass Innen- und Außenpolitik unmittelbar miteinander verknüpft sind und wie alle politischen Maßnahmen dem eigenen Machterhalt gelten, der im Zentrum von allem steht. Dazu werden typischerweise nationalistische Narrative entwickelt, um dem eigenen Volk eine Kombination aus äußerer Bedrohung und zugleich eigenen imperialen Ansprüchen zu vermitteln. Das war schon immer – auch in Demokratien – eine willkommene Methode, das eigene Volk hinter ein gemeinsames Ziel zu scharen, ihm dazu auch Mühen und Schmerzen zuzumuten und es zugleich gegen Einflüsse von außen zu immunisieren.
Leider gehört das System von Xi in China dazu. Ein Bericht der NYT fasst die Entwicklung dieses Autokraten zusammen. Bereits ein Jahr nach seinem Amtsantritt kündigte Xi in China eine nationale Sicherheitskommission mit den Worten an: „Es ist dringend notwendig, die zentrale und einheitliche Führung in Fragen der nationalen Sicherheit zu stärken“.
Der Begriff der „nationalen Sicherheit“ ist ein über autokratische Systeme hinausgehender und gerne genutzter für das nationalistische Bindungsprogramm des eigenen Volkes. Ursprünglich wurde vermutet, dass diese chinesische Kommission den Nationalen Sicherheitsrat des Weißen Hauses nachahmen und sich auf die Außenpolitik konzentrieren würde. Bei der ersten Sitzung der Kommission im Jahr 2014 erklärte Xi jedoch, die „Bedrohungen“ erforderten eine „umfassende Sicht auf die nationale Sicherheit“. Damit sind die Gefahren im In- und Ausland zugleich gemeint und werden durch die ideologische Rivalität mit dem Westen erklärt.
Für diesen „Sicherheitsrat“ ist ein Lehrbuch verfasst worden. Solche Schriften sollten mehr Beachtung finden, wie wir jüngst aus Putins Artikeln lernen können. Die Denkweise und Absichten sind dort unmissverständlich dokumentiert. So ist hier formuliert, wer und was die äußeren Feinde sind. Zur Entwicklung u.A. in Hongkong heißt es: „Die neuen Trends und Merkmale der Farbenrevolution erhöhen die politischen und ideologischen Risiken, die auf China zukommen. Feindliche Kräfte im In- und Ausland haben in ihrer Strategie, unser Land zu verwestlichen und zu spalten, keinen Augenblick nachgelassen“.
Ferner ist zu lesen, dass „die Verteidigung Chinas gegen die zahllosen Bedrohungen von der politischen Sicherheit abhängt, wobei die Partei und letztlich Herr Xi die Hüter der nationalen Einheit und des Überlebens sind. Wenn die politische Sicherheit nicht gewährleistet ist, wird das Land unweigerlich auseinanderfallen und sich wie eine Sandkiste verstreuen, und die große Wiedergeburt der chinesischen Nation wird nicht mehr möglich sein“. Diese „Wiedergeburt der chinesischen Nation“ ist konkret das nationalistische Narrativ, welches das Volk hinter seinen Führer scharen soll. Und dieses ist wiederum ganz eng mit der Taiwan-Frage verwoben: „Die Gegner von Chinas Ansprüchen auf Taiwan sind das größte Hindernis für die Vereinigung des Mutterlandes und die größte versteckte Gefahr für die nationale Wiedervereinigung“.
Die Parallelen zu anderen autokratischen Systemen, namentlich zu dem Putins, sind offensichtlich. Im Fall von China darf man annehmen, dass es noch viel besser organisiert und strukturell abgesichert ist. Der Feind ist „der Westen“, der die eigene nationale Sicherheit auf allen Ebenen bedroht und das Ziel sind irgendwelche nationalen Überhöhungen, die leider auch hier mit territorialen Ansprüchen verknüpft sind.
Es ist erkennbar, dass diese Systeme quasi „aus einem Guss“ sind. Innen- und Außenpolitik, Feindbilder und nationalistisch überhöhte Ziele sind eins – und dieses große Ganze ist nichts anderes als ein konsequentes Programm für den eigenen Machterhalt. Das bedeutet leider auch, dass man Krisenherde wie die Ukraine oder Taiwan im Umgang mit solchen Autokraten nicht separat betrachten kann. Es ist eben nicht so, dass es sich dabei um einzelne isolierbare Ziele oder Ambitionen handelt, die leicht verhandelbar wären oder die man irgendwie nur zu „teuer“ machen kann, um sie zu schützen. Es gibt sie leider, diese unmittelbare Verknüpfung mit solchen territorialen Ansprüchen und dem Machtapparat sowie dessen Aufbau.
Das macht den Umgang und Verhandlungen mit diesen Systemen so schwierig. Wir sollten leider akzeptieren, dass man mit Putin nicht über die Ukraine, sondern über sein Machtsystem verhandelt und leider ist das mit Xi und Taiwan nicht anders. Das sind in beiden Fällen keine einfachen Handlungsoptionen, über die man sich leicht einigen kann. Zugleich ist aber auch erkennbar, dass es andererseits keine Option ist, deswegen nachzugeben. Denn es hört mit diesen Ansprüchen nicht auf, sondern erfüllt nur das Programm im großen Ganzen.
Es geht also bei der Ukraine oder Taiwan um den Einhalt der weit größeren Entwicklung dahinter. Deshalb sind das auch unsererseits keine regionalen oder begrenzten Konflikte. Die Entwicklungen in Russland und China sind Herausforderungen, die wir nicht länger verdrängen können. Russland hat sich für Krieg entschieden, bei China ist hoffentlich noch genug Zeit, eine andere Strategie zu entwickeln. Das Land braucht den Welthandel, um seine Bevölkerung zu versorgen. Es wird zwar viel von Autonomie gesprochen und es hat dabei viel erreicht, aber tatsächlich sind die internationalen Handelsbeziehungen – sogar die zu den USA – weiter gewachsen.
Die Abhängigkeiten sind hoch und sie sind gegenseitig. Sowohl die USA als auch China arbeiten sehr konkret daran, sie zu reduzieren. Das ist wohl zwingend erforderlich, um nicht in Situationen konkreter Erpressbarkeit wie beim russischen Gas zu münden. Hier geht es vor allem um Technologie und teilweise fast schon monopolistisch entwickelte Lieferketten. Wenn das zu einer Diversifizierung führt, resultieren besser balancierte Handelsbeziehungen, bei denen keine Seite die andere erpressen kann, zugleich aber das Interesse an einer Kooperation bestehen bleibt.
Wir können nur hoffen, dass die Regierungen dieser beiden größten Volkswirtschaften und auch Militärapparate der Erde beide Ziele im Auge behalten, also gegenseitige Erpressbarkeiten abbauen, damit die Mittel zu haben, dem anderen glaubhaft Grenzen setzen zu können, zugleich aber die Kooperation suchen, um auf Augenhöhe letztlich eben doch zusammen zu arbeiten. Balance bedeutet in dem Fall, dass es sehr teuer werden muss, Krieg zu führen, dass es sich zugleich aber auch lohnen muss, ihn nicht zu führen. Es geht also um Anreize auf beiden Seiten. Das gilt nebenbei bemerkt auch für Russland, wo es leider aktuell wenig Ideen gibt, wie sich für ein anderes Russland der Verzicht auf Krieg lohnen könnte.
Dabei ist zu beachten, dass Konflikte oder Kriege sich leider nicht nur an ihren außenpolitischen, sondern sogar stärken an den innenpolitischen Folgen messen. Es muss daher auf allen Ebenen nachteilig sein, sie zu führen und zugleich von Vorteil, sie zu unterlassen. In diesem Sinne ist es beispielsweise richtig, dass die USA durch konkrete Maßnahmen wie beispielsweise den Ausbau der eigenen Chipindustrie daran arbeiten, Abhängigkeiten von chinesischen Lieferketten zu reduzieren. Solche Initiativen hat Xi bereits seit Jahren seinerseits getätigt und es bedarf entsprechender Antworten. Es war auch notwendig, dass die US-Regierung durch sehr konkrete Zusagen und klare bilaterale Verhandlungen der Staatschefs in der Taiwan-Frage eine Klärung vorgenommen hat, die so deutlich in den letzten Jahrzehnten keine US-Regierung vorgenommen hatte. Und gerade deswegen war es ein persönlicher Fehler von Pelosi, das Thema durch eine sinnlose öffentliche Symbolhandlung gerade jetzt zu eskalieren.
Das sind exakt die Maßnahmen, die im Umgang mit solchen Systemen kontraproduktiv sind. Das setzt Xi innenpolitisch unter Zugzwang, denn er muss nun seinerseits eskalierend antworten, er hat gar keine Option, das zu übergehen. Zugleich kann er aber gerade in der Frage nun innenpolitisch gewinnen, wenn er genau das tut. Im politischen Management solcher enorm schwierigen Beziehungen ist es sehr wichtig, militärisch wie ökonomisch die eigene Position zu stärken, dies aber zugleich in direkten Verhandlungen zu nutzen und auf öffentliche Provokationen zu verzichten – die engen nur Spielräume ein und nutzen letztlich der Seite, die ihre Öffentlichkeit ohnehin besser im Griff hat.
Europa muss das alles sehr dringend seinerseits nachvollziehen. Die Abhängigkeit von Russland bei Energie- und Rohstofflieferungen war und ist eine Achillesverse für die Reaktionsfähigkeit auf den russischen Imperialismus mit Krieg als offen eingesetztes Instrument. Im Falle Chinas sieht das noch viel schwieriger aus, denn hier ist die Dysbalance der gegenseitigen Beziehungen leider noch klarer und zudem viel größer. Da niemand weiß, in welche Richtung die USA sich als Reaktion auf die Rivalität mit China entwickeln, ist es für Europa dringend an der Zeit, selbst an mehr Autonomie zu arbeiten und die internationalen Handelsbeziehungen zu diversifizieren.
Wir hatten lange das Bild eines liberalen und freien Weltmarktes, auf dem man zu besten Preisen jederzeit die besten Produkte beschaffen oder absetzen kann. Dieser Weltmarkt existiert nicht mehr.