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Die „Causa Gas“ ist um ein interessantes Puzzlestück reicher: Wer profitiert hat, wird immer unklarer

Die jüngst von BASF bekannt gegebene Sonderabschreibung in Höhe von 7,5 Milliarden auf das Russlandgeschäft der Tochter Wintershall ist ein Puzzle-Stück mehr in der „Causa Gas“. Es wirft erneut mehr Fragen als Antworten auf, aber die Eckdaten sind bemerkenswert, vor allem, wenn man die Details des veröffentlichten Berichts zur Kenntnis nimmt.
Zur Erinnerung: Die Deals zwischen BASF/Wintershall und Gazprom sind ein wesentlicher Baustein der Gasconnection zwischen Deutschland und Russland. Im Rahmen dieser Geschäftsbeziehung wurden maßgebliche Teile der nationalen Gasinfrastruktur (Speicher, Teile der Netze, zentrale Aufgaben der Versorgung) an Gazprom und Rosneft verkauft, auch die Planungen und Beteiligungen an den Nordstream-Pipelines finden sich hier. Im „Gegenzug“ hatte Wintershall Nutzungsrechte an Gasfeldern in Russland erworben und dort die Infrastruktur zur Gasförderung aufgebaut. Die hat Putin sich nun, ich zitiere den BASF-Chef, „einfach genommen“. Das führt zu dieser Abschreibung.
Der finanzielle Schaden dürfte mit dieser Abschreibung eher am unteren Rand beziffert sein, da solche Werte in Bilanzen meist defensiv angesetzt sind. Es wird sich wohl um die Investitionssumme in Russland, nicht um den ehemals wahren Wert handeln. Der aktuelle Wert ist natürlich klar, der ist nun Null. Was aber weiter aus dem Bericht hervorgeht: BASF wird – es ist von 2,5 Milliarden die Rede – Bürgschaften der Bundesregierung in Anspruch nehmen. Leider ist es so, dass dieses Instrument – es wird meist über die staatseigene KfW-Bank abgewickelt – seit Jahrzehnten von Bundesregierungen für Industrie- und Geopolitik missbraucht wird. Erfunden wurde es mal, um Investitionen von deutschen Unternehmen in Schwellenländern zu ermöglichen. Für einzelne Unternehmen ist das oft ein kaum tragbares Risiko, bei Mittelständlern gar ein existenzielles und daher macht(e) es Sinn, bestimmte Geschäftsbeziehungen durch staatliche Bürgschaften abzusichern. Aber auch diese? Für einen globalen, kapitalstarken Großkonzern? Warum?
Alleine diese Bürgschaften sind ein dickes Brett. Bis heute werden auch Geschäfte und Investitionen in China durch den deutschen Staat teilweise abgesichert. Dadurch haftet der Steuerzahler nicht selten für Geschäftsbeziehungen von Großkonzernen, die oft sogar mehrheitlich ausländischen Aktionären – Chinesen beispielsweise – gehören, profitiert dabei nicht von den Vorteilen, wird aber zur Kasse gebeten, wenn es schief geht. Nun also 2,5 Milliarden Schaden mehr für eine Gaskrise, deren Ausmaß natürlich bereits so teuer ist, dass man über diesen Betrag auch nicht mehr reden muss. Aber by the way vielleicht die hier im Kontext nicht relevante Frage, ob die zehn Milliarden, die BASF gerade in China investiert, vielleicht auch mit Bürgschaften hinterlegt sind? Es ist nicht bekannt, aber fragen sollte man vielleicht mal?
Noch viel mehr Fragen entstehen aber, wenn man sich wieder dem vorliegenden Bericht widmet, denn BASF will Wintershall wieder aufpeppen, um das Unternehmen an die Börse zu bringen. Dazu wird erläutert, das verlorene Russlandgeschäft habe in der Vergangenheit zwar mehr als die Hälfte der Einnahmen, aber wesentlich weniger – es wird von einem Viertel gesprochen – der Gewinne ausgemacht! Aha, das wird leider kaum kommentiert und hinterfragt, denn es wirft erneut die Kernfrage überhaupt auf, die ich bereits häufiger gestellt hatte: Wer hat denn nun von dieser Gasconnection profitiert?
Sollte, was hier definitiv so berichtet wird, beispielsweise die Wintershall-Geschäftsbeziehung mit Norwegen sogar profitabler gewesen sein, warum hat man dann mit einem Partner, der politisch viel unsicherer ist, so eine tiefe Verquickung von Infrastruktur gestaltet und das auch noch für einen geringeren Profit? Wo ist die Logik dieses Vorgehens? Eine ökonomische ist auf Ebene von Wintershall jedenfalls nicht erkennbar. Da das kein Werk von Trotteln und Idioten ist, muss sich diese Logik also woanders finden.
Ich hatte bereits früher – Links siehe unten in den Kommentaren – über die „Causa Gas“ einige Fragen formuliert und auf gewisse Netzwerke hingewiesen. So ist es bemerkenswert, dass auch die Endverbraucher in Deutschland – Haushalte und Industriekunden – keinesfalls besonders billige Gaspreise hatten. Das Gerücht vom angeblich billigen russischen Gas sollte mal enden oder genauer untersucht werden. Denn ich kann nur wiederholen: Es mag billig gewesen sein, das kann ich nicht bestreiten. Es kann aber sogar teuer gewesen sein, ein Beleg für billiges Gas fehlt nämlich. Insofern mag es irgendwo eine tolle Marge gegeben haben, aber es wird immer unklarer, wo die lag. Vielleicht bei der BASF selbst? Vielleicht bei anderen sehr großen Abnehmern? Ich will nicht ausschließen, dass zumindest Teile der deutschen Industrie gezielt und selektiv mit sehr billigem Gas versorgt wurde, aber selbst dafür gibt es keinen Beleg. Ob also überhaupt entlang dieser ganz besonderen Gasgeschäfte profitiert wurde oder ob das eher im Vorfeld passiert ist, weiß schlicht niemand.
Auch die Schlussrechnung ist vollkommen intransparent. So wurde beispielsweise ein weiterer Player in der Connection, die nun mit vielen Milliarden gestützte Uniper, einst auf Initiative von ex-Kanzler Schröder nach Finnland verkauft. Danach machte das Unternehmen ordentliche, aber nicht auffällige Gewinne, um nun in die Pleite zu rutschen. Auch dort ist kein besonderer Profit erkennbar – oder ist der vorher bereits gehoben worden?
Diese Fragen sind deshalb im – ich wiederhole mich – mit Abstand teuersten ökonomisch/ordnungspolitisch/geopolitischen Skandal in der Geschichte der Bundesrepublik so relevant, weil bisher nur einigermaßen bekannt wird, welchen enormen Schaden die Steuerzahler und nun auch die Endverbraucher zu tragen haben, also eine breite Allgemeinheit. Diese 2,5 Milliarden Bürgschaft sind der kleinste Teil, von den Rettungspaketen für Uniper&Co bis zu den Stützungsmaßnahmen für Gaspreise reden wir über mehrere Hundert Milliarden. Auch diese Summe hatte ich bereits sehr früh beziffert – um dafür ausgelacht zu werden. Das ist aber weder der finale Schaden, denn die Substitution der russischen Lieferungen wird zwar gelingen, aber noch dauern und die Mehrkosten für die Verbraucher sind erst noch abzuschätzen.
Das ist alles andere als eine Verschwörungstheorie, die mir ebenfalls mehrfach unterstellt wurde. Diese Geschäftsbeziehungen, Dealstrukturen und deren Folgen sind zumindest finanziell valide, wenngleich nicht abschließend zu bewerten. Die Fragen, die ich hier stelle sind vollkommen berechtigt. Kürzlich war ich in einer Online-Konferenz mit Netzagentur-Chef Müller, der vermutlich in der Sache zu den am besten informierten in Deutschland zählt, denn seine Behörde durchforstet diese Strukturen bekanntlich gerade und sie verwaltet auch einen Großteil der Rettungsgelder. Müller sagte nebenbei, er hoffe sehr, dass Wirtschaftshistoriker diese Sache mal erforschen werden.
Ich finde es in der Politik auffällig ruhig. Das ist nur erklärbar durch die Vermutung, dass zu viele Parteien in der Sache zumindest so weit involviert sind, dass kein Interesse an einer zu genauen Aufarbeitung besteht. Wer das Thema jetzt wieder profan als Ampel-Bashing versteht, sollte sich die Links unter diesem Beitrag vielleicht (noch) mal durchlesen. Es sind teilweise sehr alte Beiträge, die mangels Aufklärung immer noch hoch aktuell sind und die hinsichtlich der auf deutscher Seite handelnden insbesondere SPD und CDU sowie Spitzen der deutschen Energiewirtschaft und vermutlich auch der wesentlichen industriellen Großverbraucher umfasst.
Ich will gar nicht über die möglichen Adressaten dieses Skandals spekulieren und auch zu deren Motivation kann man wenig sagen. War das Profitdenken, war es verantwortungslose Industriepolitik, war es Korruption – war es alles zugleich? Das wissen wir nicht und das ist ganz und gar nicht gut so, denn: Die fehlende Aufklärung ist aus meiner Sicht nicht nur aus grundsätzlichen Fragen inakzeptabel, es dürfte leider auch deshalb sehr gefährlich sein, weil die Strukturen der Gasindustrie sich möglicherweise inzwischen von ihrem russischen Teil gelöst haben, ansonsten aber weiter existieren dürften. Das ist aber jene Industrie, die uns nun von diesen hohen Preisen wieder runter bringen und die zukünftig Gas durch Wasserstoff substituieren soll.
Das sind also zwei Zukunftsthemen, die möglicherweise von Strukturen verantwortet werden, die das in der Vergangenheit vorsichtig formuliert nicht in unser aller Interesse erledigten. Ein gewisses Maß an Transparenz wäre daher vielleicht gar nicht verkehrt?
Hier die früheren Beiträge:

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