Was Jörg Bienert, Vorsitzender des KI Bundesverbandes, als Gastbeitrag im Tagesspiegel schreibt, müsste eigentlich unsere Gesellschaft insgesamt alarmieren. Er berichtet nüchtern, dass von den weltweit maßgeblichen KI-Modellen derzeit 85% aus den USA und 15% aus China stammen. Es ist vollkommen egal, ob man KI als große ökonomische Chance oder als kulturpessimistisches Risiko betrachtet, sie wie viele andere Entwicklungen der Digitalisierung einfach anderen zu überlassen, wird keinem Interesse gerecht. So können weder ökonomische Chancen gehoben werden, noch ist eine im Sinne europäischer Werte erfolgende gesellschaftliche Gestaltung möglich. Es ist daher richtig, dass Bienert seinen Beitrag mit dem Beispiel Google einleitet. Das ist die derzeit zumindest von ihrer Wirkung her wichtigste KI des Planeten, denn sie bestimmt die Informations- und Meinungsbildung vieler Milliarden Menschen weltweit. Es werden weitere solcher KI-Modelle mit ähnlicher Wirkmächtigkeit entstehen, eine europäische ist nicht in Sicht.
Der bald hoffnungslose Rückstand Europas in der Digitalisierung hat sehr viele Ursachen. Die tiefste davon ist vermutlich, dass Europäer die Digitalisierung chronisch unterschätzen und auch falsch oder gar nicht verstehen. Bei der KI ist einer der großen Fehler und Irrtümer der Europäer, dass sie eines nicht begreifen: Bei KI sind Daten immanenter Bestandteil der Technologie. Anders als bei klassischen Algorithmen in der IT besteht eine KI aus der Kombination von Analysealgorithmen und den Daten selbst, die erst in einem komplexen Zusammenwirken zur Funktion der KI führen. Das ist ein fundamentaler Wettbewerbsunterschied, denn in früherer IT und damit auch in der Digitalisierung konnten Algorithmen auch mit wenigen Daten erfolgreich realisiert werden. Das ist bei KI technisch nicht mehr möglich. Hier sind europäische Experten hinsichtlich der algorithmischen Kompetenz zweifellos immer noch auf Augenhöhe zu Amerikanern und Chinesen, insbesondere die US-Konzerne lassen sogar gerne in Europa entwickeln. Aber die KI-Modelle selbst, also solche Endprodukte wie die Googe-Suchmaschine oder das jetzt so heiß diskutierte ChatGPT entstehen erst durch die Verfügbarkeit der Daten.
Es gibt in Europa durchaus sehr maßgebliche Beispiele, die belegen, dass wir auf Weltniveau spielen können. Das DeepL-System ist so eines, es zählt im Bereich der Spracherkennung und Generierung zu einem der besten weltweit. Das ist aber nur möglich, weil die dafür erforderlichen Daten auch in Europa verfügbar sind. DeepL beispielsweise ist durch viele Millionen Texte, die in verschiedene Sprachen übersetzt wurden, so beispielsweise das Gesamtwerk von Shakespeare in allen relevanten Sprachen der Welt, mal entstanden. Wir haben aber unzählige Anwendungsbereiche, von den Daten, die ein Fahrzeug generiert bis zu den Gesundheitsdaten, die wir alle beispielsweise mit Smart-Watches täglich generieren, in denen der vollkommen dysfunktionale europäische Datenschutz die Entwicklung von wettbewerbsfähigen KI-Modellen bei uns schlicht ausschließt.
Leider wird DeepL daher Ausnahme bleiben. Der Datenschutz wird dabei übrigens zuerst die Entwicklung in Europa beschädigen und letztlich dann selbst scheitern. Denn sobald solche KI-Modelle als Produkte bei uns angeboten werden und nützliche Leistungen bieten, geben wir unsere Daten dafür bereitwillig ab, um das ebenfalls nutzen zu können. Bei den Smartwatches passiert das bereits, das sind Aufzeichnungsmaschinen unserer wesentlichen biologischen Daten, die auf den Servern von Apple&Co landen. So wie unsere Bewegungsdaten über die Smartphones dort liegen. Jeder Bewegungsmeter wird aufgezeichnet und bei vielen inzwischen von Herzfrequenz über Atmung bis zur Sauerstoffversorgung auch, was unsere Körper so hergeben.
Wer meint, die Lösung liege darin, das Zeug halt nicht zu nutzen, ist Teil der kulturellen Ursachen für diesen Rückstand. KI ist ein mächtiges Werkzeug, das unsere Welt verändern wird. Aufhalten lässt sich das nicht, es wäre wünschenswert, es mit europäischen Werten und Interessen zu gestalten. Das wird leider nicht gelingen, es gibt derzeit trotz des wirklich lehrreichen Beispiels Google keinen erkennbaren Hoffnungswert, dass wir in der Digitalisierung aufholen, wir werden im Gegenteil noch weiteren Rückstand ernten.