Das Energiethema oder vielmehr die letztlich nicht mal genauer definierte sogenannte „Energiewende“ entwickelt sich zum direkten Nachfolger der Corona-„Debatte“, wobei es leider sogar noch schlimmer wird. Es geht längst nicht mehr um Debatte oder Dialog, es wird jeweilige politische Agenda verfolgt, das Thema wird politisch oder schlicht platt geschäftlich genutzt, es geht selten um Lösungen. Die Medien spielen dieselbe Rolle. Je nach Zielgruppe wird der Empörungsjournalismus in die jeweilige Richtung gedreht, sachliche Hintergrundberichterstattung findet kaum noch statt.
Was sich für Trigger in Richtung „Dunkelflaute“, „Strommangel“ oder „Blackout“ formulieren lässt, wird gnadenlosen getan. Wenn man dabei als Protagonisten Mitglieder der Regierung oder regierungsnaher Institutionen missbrauchen kann, funktioniert das besonders gut. Aktuelles Beispiel ist das Interview von Klaus Müller in der FAS unter Anderem zum erforderlichen Netzausbau für die Versorgung neuer Verbrauchsmuster wie E-Autos oder Wärmepumpen. Was daraus gedreht wird, grenzt teilweise bereits an Fakenews. Die werden in entsprechenden Foren dann mal wieder weiter gedreht: Die einen reden vom Blackout, die anderen von Fehlplanungen, blinden Ökoterroristen usw.
Das erste Bild zeigt einen kleinen Ausschnitt der Medien-Titel zu ein und demselben Thema. Selbst der Spiegel bringt es nicht wirklich auf den Punkt, sondern kann es nicht lassen, zumindest ein wenig Sensation in den Titel zu nehmen. Nein, Müller hat sich keineswegs zur „Energiekrise“ geäußert, das ist sachlich falsch. Noch klarere Kante dagegen nicht überraschend bei den Springer-Medien, hier warnt Müller angeblich vor Stromausfällen durch E-Autos und Wärmepumpen. Das ist grob falsch.
Der Sachverhalt des Interviews von Müller bei der FAS (leider Paywall) ist nämlich ein ganz anderer. Müller weist wie übrigens bereits seit Jahren (!) seine Vorgänger vollkommen zurecht und schlicht gemäß seiner Aufgabe darauf hin, dass für eine breite Elektrifizierung die Verteilnetze nicht ausreichen. Das hat zunächst mal weder mit Dunkelflauten, noch mit der Stromerzeugung insgesamt etwas zu tun, denn es geht hier darum, dass die Energie auf der letzten Meile zum Verbraucher nicht in der Menge transportierbar ist, selbst, wenn sie da ist, was, um es klar zu sagen, in Deutschland der Fall ist und bleibt, was – siehe unten – in derselben FAS übrigens durch den E.on-Vorstand nochmals bestätigt wird.
Es ist Aufgabe der Netzagentur, auf diese Defizite hinzuweisen und zugleich Vorsorge zu leisten, um die Versorgung insgesamt sicherzustellen, wenn der Fall, vor dem gewarnt wird, trotzdem eintreten sollte. Wesentlicher Teil der Aufgabe ist es, gesetzliche Grundlagen zu schaffen, um zu regeln, was zu tun ist, wenn die Versorgung auf der letzten Meile nicht mehr für alle möglich ist. Denn dann hat die Netzagentur, genauso wie es jüngst beim Gas für den Notfall vorbereitet wurde, zu entscheiden, wer weiter versorgt und wer rationiert wird. Das geht nur auf Basis zuvor geschaffener gesetzlicher Grundlagen und nicht willkürlich nach Entscheidung des Amtes. Den Job macht Müller gerade, darüber spricht er, alles gut, alles richtig so!
Ebenfalls bereits seit Jahren wird dazu – für den durch Ausbau zu verhindernden(!) Notfall – vorgeschlagen, diejenigen Verbraucher einzuschränken, die das am besten tragen können, um die allgemeine Grundversorgung von Haushalten sowie kritischen Einrichtungen und empfindlicher industrieller Produktion zu schützen. Dazu zählen beispielsweise (!) E-Autos und Wärmepumpen, deren Verbrauch temporär gedrosselt oder unterbrochen werden kann, ohne größere Komplikationen auszulösen. Das Auto ist dann am nächsten morgen trotzdem geladen, die Wärmeversorgung im Haus nicht unterbrochen. Müller definiert im Gesetzesvorschlag gewisse Mindestanforderungen für diese Verbraucher, so soll beispielsweise für E-Autos eine Mindestladeleistung für 50km garantiert werden, damit die nächste Schnellladestation sicher erreichbar ist – um nur ein Beispiel zu nennen, um welche Überlegungen es hier geht.
Dahinter steht eine größere Strategie, wie man die Verteilung von Strom besser organisieren kann, so dass der Verbrauch sich glättet und viele verschiebbare bzw. disponible Verbrauchsvorgänge dann anfallen, wenn es zu viel Strom gibt. Auch das ist eine wichtige, richtige und sehr kluge Maßnahme, für die es bereits eine ganze Reihe von Technologien gibt. Das beginnt bei spezifischen Systemen für´s Lademanagement beispielsweise in Tiefgaragen mit sehr vielen Ladepunkten, die voll automatisch den Ladestrom optimal verteilen. Unter dem Stichwort „Smart Grids“ finden sich aber viel mehr Konzepte und Technologien, bei denen grob gesagt die Haushalte bis zu den Endgeräte intelligent mit der Stromversorgung kommunizieren, um den verfügbaren Strom optimal zu verteilen und alle gewünschten Anwendungen letztlich sicherzustellen.
Diese Technologien stehen ebenfalls bereits seit Jahren zur Verfügung, auch die damit verbundenen Normen, um deren Interaktion zu ermöglichen, liegen vor. Dazu gehört auch das bidirektionale Lademanagement von E-Autos, damit diese ihre für die eigentliche Anwendung überwiegend gar nicht ausgelastete gigantische Speicherkapazität nicht nur zum Fahren, sondern auch zur Netzstabilität zur Verfügung stellen.
Wenn man sich in agileren Ländern umsieht, sind dort viele der Technologien längst im Einsatz. Es macht nämlich schlicht für alle größten Sinn, nicht nur die Produktion von Energie zu betrachten und diese beliebig abzurufen, sondern auch den in großen Teilen disponiblen Verbrauch so zu steuern, dass die Verbrauchsprofile insgesamt nicht so heftig schwanken. Das macht das gesamte Stromsystem nämlich stabiler, robuster, flexibler und damit nicht zuletzt deutlich effizienter, also billiger.
Leider kommt das in Europa kaum vorwärts, weil es hier durch bürokratische Hürden, Gesetzgebung und Umsetzungshürden nicht durchdringt. Es fehlt auf allen Ebenen, von Genehmigungen bis zu ökonomischen Regelungen, wer von der Sache in welcher Form profitiert. Die Idee selbst ist übrigens sogar bereits Jahrzehnte alt, denn es gab dazu mal so etwas wie Nachttarife, weil die Frage, ob man den Verbrauch nicht besser an die Produktion anpassen kann, so alt wie die Stromerzeugung selbst ist. Wer das also auch mal wieder als Folge der „Energiewende“ deklarieren möchte, sei an der Stelle korrigiert, dem ist nicht so und die SmartGrids sind auch kein typisch deutsches Thema. Das lohnt in Ländern mit inflexiblen Kraftwerken, die am besten hoch ausgelastet durchlaufen (Achtung: Kernkraft) im Gegenteil noch viel mehr als in Systemen mit hohem EE-Anteil, der typischerweise nämlich viel besser mit den Verbrauchsprofilen korreliert. Aber ich weiß, auch das ist zu hartes Brot für manche faktenorientierten Hasser von allem, was mit Erneuerbaren Energien zu tun hat.
Was auch SmartGrids nur entschärfen, aber nicht ersetzen können, ist der erforderliche Kapzitätsausbau der Netze. Wir haben in dem gestern dokumentierten Fall der „Warnung“ im südwestlichen Netz gesehen, dass die großen Übertragungsnetze den gewachsenen Anforderungen unseres Stromsystems hinterher hinken. Das gilt auch für die hier angesprochenen Verteilnetze zum Endverbraucher, die so genannten lokalen Niedrigvolt-Ortsnetze. Auch hier ist wieder zu erwähnen, dass das nichts mit der Produktion von Strom, sondern mit dessen Verteilung zu tun hat. Es kann kaum erstaunen, dass unser bereits gewachsener Bedarf an Energie, der bei weiterer und anzustrebender Elektrifizierung noch stärker wachsen wird, ohne einen Ausbau der Netze nicht funktionieren kann. Das ist in vielen Orten noch deutlich eklatanter als im großen Verteilnetz, weil hier nicht selten Infrastrukturen liegen, die viele Jahrzehnte alt sind. Man kann sich nur wundern, warum Leute selbst diese Tatsache nun der „Energiewende“ oder dem „Flatterstrom“ zuschreiben.
So fordert in derselben FAS-Ausgabe auch der E.on-Vorstand König, endlich den seit Jahrzehnten versäumten Ausbau der Infrastruktur anzugehen. Das ist also ein weiterer prominenter Akteur, der nichts anderes sagt, als Müller. Beide tun das lediglich mit unterschiedlichen Aufgaben. Während Müller den Job hat, präventiv zu regeln, was passiert, wenn der von ihm geforderte Netzausbau nicht gelingt, was er natürlich tut, damit der gelingt, beklagt König, dass sein Unternehmen gerne bereit ist, die Strommengen zu produzieren, die in Deutschland erforderlich werden, das aber ökonomisch/unternehmerisch gar nicht tun kann, also explizit Investitionen nicht tätigen kann, weil die Infrastruktur, um diesen produzierten Strom zum Verbraucher zu bringen, fehlt. So lange die aber nicht sichergestellt ist, kann E.on als Unternehmen nicht neue Kapazitäten bauen, denn die lohnen nur, wenn der Strom auch verkauft werden kann.
Das typisch deutsche und so auch europäische Problem ist hier mal wieder die hoffnungslos verteilte Verantwortung für die gesamte Lösung. Während die an der Bundesregierung hängende Netzagentur das nur feststellen und präventiv für den Notfall regeln kann, woraus die Medien jetzt diesen Kotau formulieren, können die großen Produzenten selbst nichts tun, um ihr Produkt zum Verbraucher zu bringen. Dazwischen stehen Versorger sowie Netzbetreiber und das ist ein ganzes Sammelsurium an Unternehmen, von den großen Übertragungsnetzbetreibern bis zu tausenden Stadtwerken, die besagte lokale Netze verantworten.
Wir sehen hier also ein Jahrzehnte altes systemisches Defizit, welches tatsächlich zu einem – überflüssigen – Systemversagen führen kann. Die Netzagentur hat den Job auf das Defizit hinzuweisen und für den Fall des Versagens präventiv vorzusorgen. Da sind wir dann wieder bei Corona, denn mit Prävention konnte schon da keiner Lorbeeren sammeln. Müller macht also schlicht seinen Job und er warnt keinesfalls vor einem bevorstehenden Zusammenbruch der Stromversorgung, er denkt über die nächste Dekade nach, will verhindern, dass es zu Engpässen kommt und muss zugleich regeln, was zu passieren hat, wenn es doch dazu kommt.
Wer das so schreibt, wie hier zu sehen oder es so weiter verbreitet, betreibt Fakenews. Welche Reaktionen es auslösen kann, wenn man das anmerkt, zeigt das zweite Bild. Es ist nur ein Beispiel von mehreren.