derspecht

Precht-Kritik führt zu interessanten Reaktionen

Interessant, dass meine kleine Provokation zum Volksdenker Precht mir mal wieder nicht öffentlich über diverse Kanäle heftigen Protest einbringt. Nur zur Klarstellung: Ich schätze Widerspruch und Protest sehr, kann über den Vorwurf, ich könne Kritik nicht ertragen, nur lachen, aber nicht öffentlich schätze ich es tatsächlich nicht. Das ist nicht die Form der Auseinandersetzung, die heute möglich ist und die wir als neuer Teil von Öffentlichkeit auch brauchen.
Was Precht betrifft, so habe ich schon länger eine grundsätzliche Wahrnehmung. Ich „lese“ alle Bücher von ihm, manche in weniger als einer Stunde. Das geht fast immer so schnell, weil er stets eine mittelmäßige und gut erkennbare Aggregation von Fremdmeinung liefert, die ein einigermaßen belesener schon vorher kennt, so dass man es ohne jeden Informationsverlust schnell quer lesen kann. Da ich oft Bachelor- oder Masterarbeiten lese sowie hunderte wissenschaftlicher Studien bin ich zugegeben geschult darin, bereits bekannten Inhalt schnell zu erkennen und entsprechend zu rezipieren. Interessanter ist daher, welche Meinungen Precht zu welchen Zeitpunkten nutzt. Ich wiederhole: Nutzt, denn er produziert keine eigene, nie!
Er hat wohl entweder ein ganz gutes Gespür, eine professionell arbeitende Marktanalyse oder beides. Es gelingt ihm jedenfalls definitiv in der Mehrzahl seiner Themen und des Timings, sich gerade die Meinung zu eigen zu machen, die für sein Geschäftsmodell gut funktioniert. Das macht er – oder sein Verlag – sehr professionell und er produziert so schnell, so viel, so breit, dass man es natürlich durchaus auch bewundern kann. So etwas wie eine eigene Meinung im eigentlichen Sinn habe ich bei ihm nie erkannt, eine eigene Denkleistung oder neue Gedanken hat er zu keiner Zeit eingebracht, eine intellektuelle Eigenleistung existiert nicht. Daher halte ich es für vollkommen falsch, ihn als Philosophen zu bezeichnen und ein Intellektueller ist er nach meinem Verständnis auch nicht.
Er ist eine vollkommen falsch bewertete, hervorragend arbeitende Medienmaschine, die sich ausschließlich aus fremdem Gedankengut speist. Manche schreiben ihm zu, exakt diese Leistung, also leicht verständlich, so etwas wie den „Zeitgeist“ wichtiger Themen für ein breiteres Publikum aufzubereiten, sei seine anzuerkennende Leistung. Das kann man so sehen, aber nach meiner Bewertung von einigen seiner Themen, die ich gut beurteilen kann, war er zumindest dort fachlich bei weitem überfordert, so dass ich seine Aggregation jeweils misslungen fand. Das betrifft seine Ergüsse zur Digitalisierung, zu KI, sein dürftiges Büchlein zum BGE, seine Irrlichterei zu Corona und alles, was er zu Energiethemen äußert. Ich kann in diesem Autor also keinen Mehrwert erkennen und gehe davon aus, dass er in Vergessenheit geraten wird, sobald er aufhört als extrem gut funktionierende Medienmaschine zu arbeiten.
Überraschend fand ich hingegen seine jüngsten Themen und seine doch etwas neue Positionierung. Bei einigen, so beispielsweise Nuhr und Ebert, halte ich den inhaltlich/thematischen Wechsel und die neue Positionierung nicht für einen Denkprozess, sondern für das knallharte Ergebnis einer Zielgruppenanalyse. Bei Precht würde ich das zumindest nicht ausschließen. Diese Medienmaschinen haben verstanden, dass in unserer alternden Gesellschaft für manche Themen ein großes Fenster aufgegangen ist, in dem noch nicht so viele unterwegs sind. Eine gefährliche Entwicklung, denn die arbeiten leider so primitiv mit vorhersehbaren Thesen und Sprüchen, dass man es gleich ChatGPT machen lassen könnte.
Funktioniert leider deshalb, weil dieser alternde konservative Acker ganz besonders leicht zu bewirtschaften ist. Hier spiegelt diese verheerende „publizistische“ Szene eine politische – und umgekehrt. Denn leider arbeiten insbesondere die Spitzenpolitiker der rechtskonservativen Szene, die immer größer wird, ganz genauso. Precht ist in dem Kontext, das sei klar gestellt, nicht fest zu verorten, aber er beginnt tatsächlich, auch diesen Acker zu bewirtschaften.
An der Stelle wird das Thema nun ernst. Wenn es hier nur um schlechte Bücher und unerträglich dummes Palaver in diversen Medienformaten – beides eine pure intellektuelle Beleidigung – ginge, so könnte man schlicht und im wahrsten Sinne des Wortes einfach abschalten. Geht es aber nicht, denn diese Szene repräsentiert und „verwaltet“ nichts anderes als ein seit Jahrzehnten wachsendes massives Innovationsdefizit in Europa.
Das Totalversagen bei dem wichtigsten Thema, der Digitalisierung, war nur der Anfang. Nun geht es bis in unsere industrielle Substanz weiter, was übrigens kein Zufall ist, sondern eine komplett technisch/logische Konsequenz, die insbesondere Digitalisierungsexperten schon seit Jahrzehnten vorhersagen. Diese steroetype Verharrungsdenke sucht sich nun aber mit Greta, dem Klima und den Grünen einfach nur eine Projektionsfläche, um exakt dieselbe verheerend rückständige Denkweise fortzusetzen und neue Schuldige für die katastrophalen Ergebnisse zu suchen. Ich bin alles andere als ein Grüner, aber dass eine zunehmende rechtskonservative abgründig dumme und rückständige Denkweise sich in einer gänzlich destruktiven Antistimmung mit diversen Zielscheiben verliert, ist der eigentliche Punkt, der Anlass zur Sorge ist.
Nichts gegen konstruktive Kritik an Regierungsarbeit und nur, weil die Grünen momentan – keine Freude bei dieser Feststellung – die einzige Szene mit erkennbarer Moderne sind, sind sie nicht sakrosankt. Aber da kommt so gut wie nichts substanzielles, es gibt nichts dümmeres und destruktiveres als Grünen-Bashing, das hat keinerlei Wert, es ist rein populistische Kampagne, in der man oft die Angst vor Veränderung und Anerkennung der Größe der Herausforderungen spüren kann.
Wenn nun auch einer wie Precht darin seine Ernte sucht, ist das mehr als nur ein weiteres nebensächliches Ärgernis in unserer Medienwelt. Es ist rein demografisch diese Zielgruppe, die über unsere nähere Zukunft entscheiden wird. Daher ist auch die Frage, ob das konservative politische Spektrum zu einer konservativen Moderne oder zu einer populistischen rechtskonservativen Verharrung findet, so zentral für unsere Zukunft.
Zu dieser Frage sollten viel mehr Bücher geschrieben werden, passiert aber nicht. Es geht auch darum, ob die Grünen einen guten Job machen, viel wichtiger ist aber die Frage, ob die konservativen endlich mal da hin kommen. Aber diese Auseinandersetzung wäre wohl kein Quotenhit, keine gut aufgestellte Medienmaschine wird ausgerechnet das thematisieren: Eine alternde Gesellschaft in einem notwendigen Veränderungsprozess. Kassengift!!

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