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Den Strompreis versteht man nur über das Stromsystem

Die Energiepreise werden, so lesen wir immer häufiger, zur „Schicksalsfrage“ für Deutschland. Sie sind übrigens zweifellos ein relevantes Thema, ob sie aber so dominieren, lässt sich kaum belegen. Eher resultieren bei seriöseren Untersuchungen Dinge wie Bürokratie, Überregulierung sowie strategische Fehler von Wirtschaft und Staat (in der Reihenfolge!!) bei Themen wie der Digitalisierung.

Wenn die Energiepreise aber weiter so politisiert werden, könnten sie tatsächlich zur Schicksalsfrage werden. Manchmal erreichen Themen politisch/gesellschaftlichen Rang, vor allem, wenn das von bestimmten Gruppen gewollt ist. Insofern wäre es wenigstens ganz „nett“, wenn die Allgemeinheit zumindest versteht, wie Energiepreise entstehen. Könnte ja von Vorteil sein, nicht nur über eine Sache bis zum gegenseitigen Ausschluss von sozialen „Freundschaften“ zu streiten, sondern sogar zu wissen, worum es dabei geht.

Der für die weitere Zukunft tatsächlich strategisch relevante Energiepreis ist der Strompreis. Er bestimmt über die Akzeptanz und Machbarkeit der anstehenden Elektrifizierung, die global stattfindet und bei der ein neues Feld des Rückstands in Europa kaum Ziel sein kann.
In Chart1 sieht man, wie der Strompreis sich zusammensetzt. Die Untersuchung des BDEW ist ein Jahr alt, aber das spielt für das Verständnis keine Rolle. Wie man sieht, lag der Anteil der Kosten für „Beschaffung und Vertrieb“ vor der Energiepreiskrise im Band zwischen 20% und 25%. Hinter diesem Begriff verbirgt sich die komplette Produktion und auch der Handel, inklusive aller Margen von Produzenten, Händlern und Versorgern! Das ist quasi das Produkt selbst. In typischen anderen Märkten käme noch die Umsatzsteuer (aka Mehrwertsteuer) hinzu.

Hier nicht.

Bis zur Erbitterung wird aber über dieses Fünftel gestritten. Zwischen erbitterten Kernkraftgegnern und Kernkraftideologen bis zum verbalen Krieg. Ein Krieg im nichts.

Tatsache ist, dass bis Mitte 2021 Steuern, Abgaben und Entgelte den Stromreis dominierten. Chart2 zeigt, wie die sich zusammensetzten. Hier erkennt man, dass die ebenfalls oft diskutierte Förderung von Erneuerbaren nur einen Teil ausmachten – und dass das vorbei ist. Diese Förderung hatte ich oft kritisiert, ich halte sie strukturell für falsch und beim Thema Wasserstoff passiert das jetzt schon wieder, aber ihre Bedeutung wird andererseits auch gerne überbewertet. Weder ist das der dominierende Faktor für den Strompreis gewesen, noch wird das für den nun endlich folgenden Ausbau mit aktuellen Anlagen der Fall sein.

Chart3 zeigt den Verlauf dieser Preisstruktur, mit einzelnen Preisen. Erkennbar ist das eigentliche Produkt im Preisband von 6 bis 8 Cent pro KWh verlaufen. Das ist – oder vielmehr war – global durchaus wettbewerbsfähig. Warum nur streitet Deutschland über seine Stromproduktion, wenn die Themen doch ganz andere sind?

Die bisherigen Charts zeigen, dass mit Beginn der Energiepreiskrise die Struktur der Strompreise sehr rasch eine andere wurde: Nun dominiert das Produkt selbst, also die Beschaffung. Das ist auch im Juli 2023 so. Leider hat aber auch das nichts damit zu tun, worüber so energisch gestritten wird, also mit der Stromproduktion, sondern vielmehr mit dem Design unserer Strombörsen, also der inzwischen bekannten, aber auch kaum tiefer verstandenen „Merit-Order“. Chart4 zeigt, wie die wirkt: Der Strompreis wurde über viele Jahre durch den jeweils teuersten fossilen Brennstoff diktiert, es wechselte zwischen Kohle und Gas. Das führte zu den oben genannten global wettbewerbsfähigen Beschaffungspreisen, da ähnliche Produktionskosten auch weltweit dominierten. Bis dahin war es also unser Steuer- und Abgabensystem, das uns die hohen Preise bescherte.

Mit der Gaspreiskrise, die bereits Mitte 2021, also lange vor dem Kriegsausbruch, einsetzte, hat sich das bekanntlich geändert: Der Gaspreis eskalierte und durch Merit-Order dominiert er seitdem den Strompreis. Ich werde nicht müde, zu ergänzen: In ganz Europa, auch in Frankreich, auch dort, wo Kernkraftwerke laufen, denn Kernkraft hat keinen Preiseinfluss. Es ist und bleibt ein Streit im nichts.

Als Reaktion auf diese Preiskrise hat die deutsche Regierung die Steuern und Abgaben massiv zurück gefahren. Das ist natürlich richtig so, aber man darf das nicht als Systemwechsel interpretieren, es ist eher eine Krisenmaßnahme und die zentrale Frage lautet: Welches System soll zukünftig gelten?

Das ist nämlich die Frage, über die eine öffentliche Debatte tatsächlich zu führen wäre und mit etwas tieferem Verständnis der Allgemeinheit bliebe abzuwarten, ob das überhaupt zu einem Streit führen würde!

Um das nochmals klar zusammenzufassen: Wie sehen in diesen Charts zwei Systemeffekte, die hohe Abgabenlast und den Merit-Order-Effekt. Der erste ist nur ausgesetzt, der zweite wirkt unverändert. Soll das so bleiben?

Die Antwort lautet: Ja, so ist es geplant. Darüber wäre in der Tat eine Debatte notwendig, denn – wie man ebenfalls den Charts sehr schön entnehmen kann – ist das Konsens über alle Parteien. Genau hier haben wir aber nun die Standortfrage, denn das letzte Chart5 zeigt, was derzeit weltweit passiert: Die massive Degression Erneuerbarer, die bereits 2019 auf mittlere Gestehungskosten von 4 Cent pro KWh gefallen sind und inzwischen in besten Lagen 1 Cent unterschreiten, werden global mit maximalem Tempo ausgebaut. Das wird den wettbewerbsfähigen Erzeugungspreis unter das frühere Niveau unseres Energiesystems drücken.

Wir aber haben sowohl eine Steuerpolitik als auch ein Markt-Design, das bei sinkenden Erzeugungskosten zu steigenden Endpreisen führt. Diese Divergenz ist das Hauptproblem und die hat nur sekundär mit der Produktion, über die so heftig gestritten wird, zu tun. Bei letzterer funktioniert der Markt sogar ganz gut, denn auch in Europa interessieren sich inzwischen Energieerzeuger viel mehr für den Ausbau von Erneuerbaren als für alle anderen Erzeugungsformen.

Dieser Teil des Marktes funktioniert rational. Niemand in der Energiewirtschaft will zu teuer produzieren. Aber das muss für Haushalte und Industrie auch ankommen, sonst haben wir neben dem Wettbewerbsthema für die Energie selbst die ganzen Folgen bei der Elektrifizierung.
Wenn nun der CO2-Preis auch noch steigt, was grundsätzlich ja richtig ist, wird der via Merit-Order auf den Strompreis durchschlagen, egal, wie gering der Anteil fossiler Energieträger ist. Dadurch werden E-Autos, Wärmepumpen und alle Elektrifizierungsmaßnahmen der Industrie weiter mit Abgaben belastet, statt sie zu fördern.

Die Stromproduktion wird auch in Europa günstiger werden, das ist ohnehin ein laufender Trend und der wird sich fortsetzen. Das muss aber bei den Endpreisen endlich ankommen – hier ist die Debatte zu führen und muss man darüber wirklich streiten?

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