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Ein erneuerbares Energiesystem für weniger als 10 Cent pro KWh?

„Nachts scheint keine Sonne“ ist nicht selten die energiephilosophisch weitere Gespräche über die Energiewende ausschließende Feststellung. „Wir brauchen Speicher“ ist die etwas mehr Dialogbereitschaft signalisierende Variante. „Nicht grundlastfähiger Zappelstrom“ gilt als Expertenmeinung.
Diese Aussagen sind alle richtig und in der Energiewirtschaft sowie Wissenschaft wesentliches Betätigungsfeld. In den sozialen Medien und „Experten-Talkshows“ sind sie leider Ausschlusskriterium für weitere Gespräche. Dafür gibt es keinen Grund, denn diese Themen sind sehr gut analysiert und es gibt ausreichende Erkenntnisse, um konkrete politische Entscheidungen zu treffen. Das wird aber nicht genutzt – warum?
Die Analyse beginnt mit Chart1: Hier ist jeder rote Punkt ein Tag im Jahr 2022. Entlang der senkrechten Achse sehen wir die PV-Leistung, entlang der waagerechten die Wind-Leistung in Deutschland. Man erkennt zunächst sehr schnell, dass der komplette Raum mit Punkten erreicht wird. Mathematisch ausgedrückt heißt das: Wind und PV korrelieren schwach oder anders gesagt, sie ergänzen sich gut. Wären nämlich beide sehr ähnlich, also entweder gerade nicht da oder besonders ertragreich, so fänden sich die meisten Punkte auf der Diagonalen in diesem Raum. Da sind aber sogar die wenigsten.
Es gibt hingegen zwei Teilräume, in denen sich mehr Punkte finden: Entlang der senkrechten Achse sehen wir, dass sehr oft die Sonne deutlich mehr als der Wind liefert und entlang der waagerechten Achse sehen wir, dass es sehr oft auch genau umgekehrt ist. Letzteres liegt übrigens daran, dass nachts keine Sonne scheint (aber sehr oft der Wind weht), ersteres, dass bei gutem Wetter wenig Wind anfällt (aber die Sonne scheint). Das sind also keine wirklich besonderen Erkenntnisse, es geht vielmehr darum, was das bedeutet.
Die blau gezogenen Querlinien sind sehr wichtig, weil das die Leistungen sind, die wir nachts sowie tagsüber als Spitzenverbrauch sehen. Über diese Linien müsste man also kommen, um Vollversorgung zu erreichen, was, wie man sieht, immer mal wieder gelingt, aber zuverlässig nicht möglich ist. Richtig ist zudem, dass wir sehr oft über die 8GW kombinierte Leistung nicht hinaus kommen. Das sind zwar immer noch nicht die berüchtigten Dunkelflauten, aber hier sind die Erträge viel zu gering, was nicht oft, aber oft genug vorkommt, um genau diese Tage zu den weit wichtigeren Herausforderungen zu machen, als diese so gerne zitierten Dunkelflauten.
Nun ist klar, dass sich dieses Bild schlicht strukturell ausweiten wird, wenn Wind und PV weiter ausgebaut werden. Das heißt: Voll- oder vielmehr, das ist auch Ziel, Überversorgung werden dadurch häufiger erreicht, die Unterversorgung aber nicht abgestellt. Daher werden Speicher benötigt, was unstrittig ist, aber während die öffentlichen Diskussionen hier meist enden, geht es in der Fachwelt vor allem darum, welche man braucht, was die kosten und wann bzw. wofür man sie einsetzt.
Das hat auch mit dem „Zappelstrom“-„Argument“ zu tun und das lässt sich in Chart2 etwas besser auflösen, denn hier wird das komplette Jahr 2022 auf den minutengenauen Verlauf einer Woche abgebildet. Was hier sofort erkennbar wird: Zunächst zappelt nämlich unser Verbrauch, das ist die schwarze Kurve, täglich zwischen 40GW und etwas mehr als 65GW im Mittel. Tatsächlich ist die Schwankungsbreite oft weitaus höher, da kann zwischen dem niedrigsten und höchsten Tagesbedarf ein Unterschied von 100% entstehen. Was in Chart2 aber ebenfalls sofort erkennbar ist: Der Ertrag der Erneuerbaren zappelt in der Tat, aber recht gut entlang unserer ebenso zappelnden Nachfrage, das wir nämlich gerne unterschlagen.
Deshalb ist die Sache mit der „Grundlast“ energietechnisch bereits sehr lange überholt, der Begriff spielt in der Wissenschaft und auch der Energiewirtschaft keineswegs die Rolle wie in den Medien. Es ist vielmehr schon immer ein sehr großes Problem, die starken Schwankungen des Verbrauchs bei der Produktion nachzubilden – und genau das ist mit Grundlast gar nicht möglich. Bereits lange vor dem Ausbau von Erneuerbaren lag die wesentliche Beschäftigung daher in zwei Ansätzen: Wie kann man die Schwankungen des Verbrauchs glätten und wie können die trotzdem unvermeidlichen Spitzen möglichst agil produziert werden, ohne träge Grundlastkraftwerke in chronische Überschüsse zu treiben. An dieser Aufgabe hat sich bis heute nichts geändert und die Erneuerbaren haben das – eben wegen des täglichen Verlaufs – sogar verbessert.
Für die Spitzenlastproduktion wurden Gaskraftwerke entwickelt, die aus dem Stand agil komplett hoch und runter gefahren werden können. Das ist in allen Energiesystemen weltweit passiert und darf als die Innovation der letzten vier Jahrzehnte bezeichnet werden. Leider haben wir mit Merit-Order und dem eskalierten Gaspreis dafür das falsche Marktdesign, denn hier liegt der Grund, weshalb in ganz Europa der Gaspreis den Strompreis dominiert – das sei an der Stelle nochmals erwähnt, denn, auch das sei erwähnt: Gaskraftwerke gibt es weltweit, die sind technisch genial, aber dieses Markt-Design gibt es nur in Europa!
Für die Umstellung auf eine vollständige Versorgung mit Erneuerbaren gilt wegen der hervorragenden Technik der Gaskraftwerke die Nutzung synthetischer Gase bereits seit längerem als wesentlicher Eckpfeiler für die Speicherung von Strom: Man erzeugt mit Erneuerbaren also eine Überversorgung, um damit beispielsweise Wasserstoff zu produzieren, welcher die Gaskraftwerke betreibt, Power2Gas wird das Konzept genannt. An der Stelle ist zunächst klar zu machen, dass es sich dabei um eine vollkommen seriöse, technologisch abgesicherte und gut machbare Speicherung handelt, die bis zur Einspeicherung in große Kavernenspeicher, die heute für Erdgas genutzt werden, erforscht ist. Wir können damit also auch große Mengen Energie über längere Zeit speichern. Der Nachteil aber: Das ist sehr teuer, auch wegen der hohen Energieverluste und die sind entgegen politischer Sprechblasen über technologieoffene und dem Markt zu überlassende Fortschritte nicht signifikant verbesserbar. Hier gibt es bei den chemischen und physikalischen Umwandlungsprozessen insbesondere Abwärmeverluste, die kein technischer Fortschritt verhindern kann.
Bei der unstrittig wichtigen Diskussion über Speicherung geht es daher schon lange nicht mehr darum, ob das machbar ist, sondern um die besten, effizientesten und ökonomisch sinnvollsten Wege. Dabei stellt sich heraus, dass kurzfristige Pufferspeicher die größere Rolle spielen werden, während die so gerne als wesentliche Herausforderung behaupteten „Dunkelflauten“ bei den Planungen weniger relevant sind. Ebenso ist es wichtig, die oben erwähnte Aufgabe, Glättung des Verbrauchs, nicht aus den Augen zu verlieren. Es sollte jedem mit etwas ökonomischem Grundverständnis klar sein, dass eine Infrastruktur, die für kurze Spitzenlasten ausgelegt werden muss, viel zu teuer wird – und auch das hat mit Erneuerbaren rein gar nichts zu tun.
Daher gibt es weder in der Wissenschaft, noch in der Energiewirtschaft so eine isolierte Denkweise, wie wir es in den Medien hören. Es geht weder nur um die Art der Produktion, die Speicherung, die Nutzung oder die Verteilung – sondern schlicht ganzheitlich um all diese Themen, denn ein Energiesystem besteht nicht aus einem halben Dutzend isolierter Bausteine, die man einfach zusammen stöpselt. Es handelt sich vielmehr um ein technisch komplexes Gesamtsystem, bei dem von Produktion bis zu Verbrauch alles optimal miteinander geplant werden muss, wenn man optimale Ergebnisse erzeugen möchte. Daher werden auch in seriösen Planungen stets Strom und Wärme sowie industrielle Prozesse gemeinsam geplant, Profile aufeinander abgestimmt, Ausgleich dazwischen genutzt. Das führt beim Thema Speicherung dann zu einer Vielzahl an Optionen, die von kurzfristigen Batteriespeichern, wozu übrigens keineswegs nur Lithium-Batterien zählen, über Wärmespeicher bis zu saisonalen Speichern wie H2 reichen. Ferner führt es zur Erkenntnis, dass gar nicht die Stromproduktion die größte Herausforderung ist, sondern die Verteilung von Energie, also die Netze, sowie die Optimierung von Verbrauchsprofilen.
Das wiederum führt bereits seit Jahrzehnten zu der Forderung, Energie nicht zentral, sondern in handhabbaren dezentralen Systemen zu planen und zu bauen. So etwas wurde jetzt unter Führung des Fraunhofer IEG als Vorstudie für ein im Industriemaßstab konkret geplantes Projekt vor allem mal auf den zentralen Punkt der Diskussion herunter gebrochen: Was kostet in so einem System die KWh? Das entscheidende Chart3 aus der Studie kommt zu Ergebnissen, die sich sehr genau mit denen deckt, die ich aus eigenen Projekten kenne. Kurz zusammengefasst: Man kann – und zwar NUR! – mit Erneuerbaren aus dem Stand einen Großteil der Energieversorgung zu Energiepreisen von deutlich unter 10 Cent pro KWh abdecken. In Verbindung mit Elektrifizierung setzt sich dieser Preis für Anwendungen im Wärmebereich, bei der Mobilität oder Industrieproduktion fort.
Der Grund für dieses Ergebnis findet sich letztlich in den ersten beiden Charts, denn ein Großteil der Erneuerbaren Energie muss entgegen der Wahrnehmung in öffentlichen Debatten nicht gespeichert werden, sondern kann sehr gut bedarfsgerecht sofort verwendet werden. Die Speicherkosten schlagen also erst in den letzten Prozent der Versorgungsquote zu und zwar, wie Chart3 zeigt, exponentiell. Erst oberhalb einer 90% Versorgung mit Erneuerbaren steigt der Preis über 10 Cent pro KWh und erreicht – mit heutigen! Speicherkosten – dann mehr als 13 Cent pro KWh, wenn man komplett mit Erneuerbaren versorgen möchte. Die Studie kommt gleichwohl zu dem Ergebnis, dass mit den erwartbaren Kostenreduktionen bei den Speichertechnologien, vor allem bei der H2-Synthese, auch eine Vollversorgung in Zukunft für 10 Cent pro KWh möglich wird – mit allen erforderlichen Speicherungen.
Damit sind die ohnehin nie mit irgendwelchen Belegen versehenen, stets pauschal behaupteten Aussagen, das sei unbezahlbar, erneut widerlegt. Ganz im Gegenteil können Erneuerbare sofort und für bis zu 90% des Energiebedarfs zu einem Preis produzieren, der mit konventionellen Kraftwerken nicht möglich ist. Wir reden nach unseren Planungen bei 60% übrigens über Preise von sechs Cent pro KWh. Die letzten zehn Prozent werden dann in der Tat deutlich teurer, gegenüber den günstigsten Direktversorgungskosten führen Speicher bis zu einer Verdreifachung des günstigsten Preises – noch, die Kosten sinken.
Wir planen solche Projekte derzeit ebenfalls, wir hören von anderen, die das tun, das ist gut so. Die Ergebnisse sind stets sehr ähnlich und bestätigen damit die Validität. Das Vorgehen ist oft unterschiedlich. Man kann beispielsweise, das ist Stand heute der ökonomischste Weg, zuerst mal komplett ohne Speicher arbeiten, um die Preisvorteile maximal zu heben und den Grenzbedarf aus dem Netz zuzukaufen. Aber bereits heute lohnen mindestens Pufferspeicher für Strom sowie bei kombinierten Strom/Wärme-Projekten auch Wärmespeicher, um die im Chart skizzierten bis zu 90% anzustreben. Die Vollversorgung wollen wir in einem kleineren Musterprojekt jetzt schon nachweisen, die ist aber für Großprojekte noch zu teuer. Dazu ist die Preisdegression bei Speichern abzuwarten, technologisch geht das aber jetzt schon.
Die wesentlichen politischen Entscheidungen liegen derweil leider weiter brach, weil die kaum jemand wirklich thematisiert. Wir führen ja nur Schattendebatten. Es geht weder darum, ob das machbar oder bezahlbar ist. Es geht um die Ablösung der zentralen Energiewirtschaft, die strategische Frage, wie viel Energie selbst und wie viel importiert werden soll sowie vor allem um die Marktstrukturen: Das Design unserer Strom-Märkte lässt den wesentlichen Treiber der Energiewende, den Preis, nicht zu und die vielen großen oder größeren Akteure im Markt, von den Energiekonzernen bis zu den regionalen Größen, hat keiner ein Interesse an solchen dezentralen Lösungen.
Das ist übrigens der Hauptgrund, weshalb auch wir für diese vollkommen logischen Projekte um Genehmigungen zu kämpfen haben, denn sowohl in politischen Kreisen als auch bei den etablierten Energieunternehmen findet sich dafür keine Unterstützung. Die Zeche zahlen die Abnehmer: Der Strompreis ist viel zu hoch und der Ausbau der Infrastruktur kommt nicht voran. Ein Markt, der zu hohe Preise setzt und zugleich keine akzeptable Leistung bringt: Das ist das politische Thema!
Weltweit ist das übrigens weitgehend vollkommen anders. Wir werfen uns gerne gegenseitig Dogmatismus vor und da ist wohl einiges dran. Wir erleben global Projekte, die durch die nackte Preislogik getrieben sind: Da werden Erneuerbare ausgebaut, um möglichst rasch die Preisvorteile zu heben. Mit der Verfügbarkeit robuster und ökonomisch sinnvoller Speicher werden die dazu gestellt. Die Transformation wird einfach gemacht und wann dabei 50%, 75%, 90% oder 100% Versorgung mit Erneuerbaren entsteht, ist eine höchst entspannte Debatte, die sich sogar eher auf Fachkreise begrenzt. Parallel planen sie weiter Kohlekraftwerke, in strategischen Größen Kernkraftwerke, wissen, dass sie Gaskraftwerke mit welchem Kraftstoff auch immer ohnehin brauchen – und sind vor allem eines: Agil.
Dass es in den nächsten Dekaden zu einer weit überwiegenden und letztlich kompletten Versorgung mit Erneuerbaren kommen wird, erwarten sie alle. Bei uns aber wird diskutiert, ob das möglich ist und bevor das nicht bewiesen ist, will ein Großteil sich gar nicht erst bewegen. Wenn das so weiter geht, werden viele Länder uns rasch überholen, denn sowohl die Technologien als auch deren Nutzung entwickeln sich exponentiell – global, nicht bei uns, wir entwickeln unsere Kernkompetenz weiter: Debattieren und dabei stagnieren.

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