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Wohin entwickelt sich der Konflikt zwischen den USA und China

Ich empfehle, unsere national geprägte „Standortdebatte“, die leider oft über Wärmepumpen und Kernkraftwerke nicht hinaus geht, für einen Moment zu verlassen, um das global derzeit mit Abstand dominierende Thema zu betrachten: Der Konflikt zwischen den USA und China.
Was dazu wiederum in unseren Medien an Diskussion und Berichterstattung statt findet, hat leider oft wenig mit den Ereignissen zu tun. Da gibt es die eine Lesart, der sich zuletzt sogar der Volksvordenker Precht näherte, dass wir so etwas wie den Niedergang „des Westens“ erleben und ganz neue Allianzen auf dem Planeten entstehen. Die Spitze dieser Erzählungen mündet in angeblich wirkmächtigen neuen Achsen von Moskau bis Peking und dem unmittelbar bevorstehenden Untergang des Dollars.
Die andere Richtung erzählt die neue große Gefahr, die von China ausgeht und deren Spitze die Forderung ist, man müsse sich bezüglich aller Lieferketten und ökonomischen Verbindungen von dem aufstrebenden Reich in Asien trennen.
Wie so oft, ist an beiden Extremsichten zwar etwas dran, aber viel zu wenig, um das weiter zu verfolgen, zumal dabei die wichtigsten Aspekte oft sogar verloren gehen. Tatsache ist nämlich, dass China offenkundig seit einigen Dekaden die sogar mit Abstand dynamischste Nation ist – wie auch immer man das finden mag. Damit sind sie insbesondere in vielen Industriebereichen inzwischen sowohl technologisch als auch bezüglich der Produktionskompetenz führend geworden. Ferner sind sie tatsächlich bei vielen Lieferketten, von keinesfalls nur unterkomplexen Vorprodukten bis zu bestimmten Rohstoffen der wesentliche Lieferant der kompletten Welt geworden. Hier sind oft Weltmarktquoten von 50, 60, ja bis zu 80% festzustellen, die alleine aus China stammen.
Die USA haben daher China bereits unter der Präsidentschaft von Obama als wesentlichen Konkurrenten erkannt und seitdem spielen „China-Strategien“ dort die wesentliche Rolle. Es ist ganz zweifellos richtig, dass sich die Weltordnung damit von der Rolle einer alleine dominierenden Nation zu einer multipolaren Situation entwickelt. Die USA reagieren darauf sehr unterschiedlich, Obama, Trump, Biden, haben sehr verschiedene Wege gewählt, aber eines eint sie: Die Reaktionen waren umfassend und genau das wird in unserer Debatte leider viel zu wenig gewürdigt. Wir schauen mit einer unterschiedlichen Ängstlichkeit auf entweder China/Russland als neuen Hegemon, den es zu gewinnen gilt oder bauen ein chinesisches Feindbild auf, das ebenfalls zu einseitig ist. Dabei wird die Reaktion des bisherigen Platzhirschen auf dem Planeten oft kaum bewertet – von den typischen antiamerikanischen Sichten mal abgesehen.
Selbstverständlich ist dieser Konflikt voller Risiken. Er spielt vermutlich auch beim Ukraine-Krieg die Hauptrolle – zulasten aller dort beteiligten Völker, vor allem aber zulasten ganz Europas. Es droht auch zwischen China und den USA ein immer direkterer Konflikt, bis zu einem Krieg im Pazifik. Auch hier sehen wir sofort Auswirkungen für Europa, denn diese beiden wichtigsten Schwergewichte auf dem Planeten leisten sich bereits so etwas wie einen Wirtschaftskrieg, der mit seinen Zöllen, Sanktionen, Markteingriffen, Lieferbeschränkungen etc. stets auch Europa und hier insbesondere die Exportnation Deutschland trifft.
Es gibt aber ein Szenario, das wahrscheinlicher als eine unkontrollierte Eskalation ist und das sowohl noch größere Gefahren für Europa, aber auch Chancen bedeutet. Dieses Szenario lautet nämlich: Der Konflikt wird als harter, aber kontrollierter Wettbewerb fortgesetzt, eskaliert aber nicht. Das passiert momentan tatsächlich und es ist deshalb das wahrscheinlichste Szenario, weil es in beiderseitigem Interesse der USA und China liegt, genau das zu tun. Keine Seite dürfte so verwegen sein, den jeweils anderen „in die Knie“ zwingen zu wollen. Man ist in sehr vielen Fragen enorm aufeinander angewiesen und das sogar im positiven Sinne, denn beide profitieren davon. Der Aufstieg Chinas zur „Werkbank“ des Westens war schließlich vom Westen gewollt und bis heute profitieren Tausende Unternehmen in Europa und den USA davon, in China zu produzieren oder von dort Vorprodukte zu beziehen. China wiederum hat sich aus dieser Rolle zweifellos emanzipiert, kann aber weder auf die Weltmärkte, noch auf die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zum Westen verzichten.
Die ganz große Gefahr in Europa besteht darin, dieses Szenario zu übersehen und dabei – ich sage es so drastisch – unter die Räder zu kommen. Denn die Stärke der USA ist ungebrochen. Die Rolle des Dollar, die in gewissen Echokammern bei uns komplett falsch gesehen wird, ist nach wie vor die dominierende. Paul Krugman hat das gestern sehr gut zusammengefasst: Der Dollar bleibt die führende Reservewährung, bei sieben von acht Transaktionen in der Weltwirtschaft ist der Dollar involviert. Zugleich reagieren die USA mit dem Inflation Reduction Act mittels vermutlich bis zu vier Billionen durch ein nahezu einmaliges Re-Industriealisierungsprogramm, welches bereits enorme Reaktionen erzeugt. Das ist eine sehr mächtige Antwort auf die Industrieprogramme Chinas (siehe Charts).
Was hier also erkennbar ist: China hat durch seine strategische Industriepolitik in vielen Bereichen eine sehr starke Rolle erreicht. Das ist sogar für Europa eine viel schwierigere Wettbewerbsrolle als für die USA, deren Ökonomie wesentlich breiter aufgestellt ist, nicht zuletzt durch die führende Rolle in der Digitalisierung. Bereits diese Industrialisierung Chinas wird Europa sehr fordern – nun aber tun die Amerikaner dasselbe! Das Szenario bedeutet also nicht „der Untergang des Westens“, sondern die Marginalisierung Europas innerhalb dessen, was wir mal „der Westen“ nannten.
Die gerade nach China reisende US-Finanzminsterin Janet Yellen, nebenbei bemerkt eine renommierte Ökonomie-Professorin, die ihren europäischen Amtskollegen intellektuell um Meilen überlegen ist, hat kurz vor ihrer Abreise eine bemerkenswerte Rede gehalten und das ist natürlich kein Zufall. Hier hat sie genau dieses Szenario als Ziel definiert: Den Wettbewerb hart führen, aber keinesfalls eskalieren.
Europa braucht keine „China-Strategie“ und hier gewiss keine, die auf der absurden Idee basiert, zukünftig alles wieder in Europa zu produzieren. Das Thema ist ein anderes: Es entsteht ein führender Wettbewerb zwischen zwei sehr dynamischen Nationen und Europa wird dafür gar nicht gebraucht, Europa als relevanter Teil „des Westens“ steht in Frage.
Was wir zu tun haben, ist die Findung unserer Rolle in einer Weltordnung, für die Europa keine vorab gesetzte Bedeutung mehr hat, in der sowohl die USA als auch China sehr erfolgreich sein werden. Die große Chance dabei ist, dass es keineswegs zu der von vielen sogar geforderten De-Globalisierung kommt, dass sich nationalistische Konzepte als Verlierer darstellen, sondern dass es zu einer diversifizierteren neuen Globalisierung kommt.
Dafür hätte Europa Angebote zu machen. Mit Diskussionen über Wärmepumpen, Kernkraftwerke und Sparhaushalte, die keine sind, werden wir die aber nicht entwickeln. Mit den vollkommen verrückten nationalistischen Tendenzen, die sich bei uns viel zu breit machen, werden wir sie vernichten.

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