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Eine „Rentenreform“ mehr – und das Problem wächst nur weiter

Seit nun 40 Jahren schreiben Versicherungsmathematiker vergleichsweise sogar sehr einfache Gutachten, die eine Trivialität aufzeigen: Der sogenannte „Generationenvertrag“ funktioniert in einer demografisch alternden Gesellschaft nicht. Der wurde mal entworfen, als es mehr Jüngere als Ältere gab und schon Adenauer wusste um das systemische Problem, wenn sich das umkehren sollte. Sein Argument damals ist bekannt: Kinder kriegen die Leute immer. Tja, oder auch nicht – und dann ist es langfristig nicht mehr finanzierbar. Seit 40 Jahren ist diese Trivialität leider rechnerisch sehr einfach nachzuweisen.

Die Systematik ist ähnlich anderen Themen, sei es Corona oder der Klimawandel, ein dem Konsum gewidmeter Schuldenberg oder ein Investitionsrückstau in Infrastrukturen, Digitalisierung etc. Immer wieder dasselbe: Die Probleme bauen sich langfristig auf, werden sich aber beschleunigen, Gegenmaßnahmen sind anfangs billiger, werden mit der Zeit immer teurer und irgendwann gar nicht mehr möglich. Alles spricht also dafür, möglichst früh und konsequent gegenzusteuern, insbesondere explizit dann, wenn man es ökonomisch möglichst „billig“ haben will.
Bereits Norbert Blüm wurde klar darauf hingewiesen, dass Handlungsbedarf besteht und zwar zur Verhinderung eines in mehreren Dekaden zunehmenden und irgendwann nicht mehr zu stemmenden Problems. Wie immer antwortet handelnde Politik so, wie viele Menschen es tun. Kahneman et al. haben diese kognitiven Verzerrungen ausführlich beschrieben, so beispielsweise die Tendenz der Bevorzugung des Status quo gegenüber Veränderungen oder auch die höhere Gewichtung von Entscheidungen mit kurzfristiger Wirkung gegenüber denen mit langfristiger.

Lächerlich sind hingegen die Versuche, solche trivialen versicherungsmathematischen Berechnungen anzuzweifeln. Das sehen wir ebenfalls überall, seien es die Analysen des Club of Rome, die Zweifel an den tatsächlich im Konsens (Achtung: Wissenschaftlich heißt das konvergierender Korridor!) liegenden Klimamodellen oder exponentiell verlaufenden Infektionskurven. Gerne wird darauf hingewiesen, dass in der kurzen Frist doch gar nichts erhebliches passiert ist, was bei exponentiellen Prozessen aber genau so ist, jedoch nichts an der Aussage ändert. Ebenso wird behauptet, man können den Prozess durch welche Maßnahmen auch immer kontrollieren – übrigens ein Kahneman-Bias mehr.

So haben die Regierungen der letzten Dekaden fleißig am Rentensystem herumgeschraubt, gerne von „Reform“ gesprochen, aber real gar nichts verändert. Die von den Mathematikern vorhergesagten Beitragssteigerungen wurden vorgenommen, aber teilweise hübsch versteckt. So wurden stets Beitragsbemessungsgrenzen besonders stark angehoben, um auch ohne Beitragssätze mehr Aufkommen zu generieren, dann wurden die Arbeitgeber teilweise etwas verschont, in saisonal günstigen Phasen – der Arbeitsmarkt zahlte vorübergehend eine Dividende – konnte man sogar von stabilen Beitragssätzen reden und behaupten, diese „Modelle“ funktionierten doch alle nicht.Auch das ist bekannt: Man behauptet, die Modelle behaupteten, taggenau auf zwei Stellen hinter dem Komma die nächsten 100 Jahre berechnen zu können und wenn man dann eine Kommastelle Abweichung findet, wird das Modell als ganzes negiert. Wer erinnert sich nicht an die Diskussion über Wahrscheinlichkeiten und Ergebniskorridore bei den Corona-Zahlen und beim Klima führen wir diese von methodischer Unkenntnis dominierte Debatte immer noch.

Tatsächlich passiert seit 40 Jahren genau das, was hier mit einem unterkomplexen versicherungsmathematischen Modell gerechnet wird: Das Beitragsaufkommen für Rentner wächst, die Last pro Beitragszahler wächst auch, die Quote von Beitragszahlern zu Beitragsempfängern verschlechtert sich. Dass dies kein linearer, sondern ein im Wesentlichen exponentieller Prozess mit einigen Sprungfunktionen beim Renteneintritt der „Boomer“ ist, macht es für manche schwer verständlich, obwohl es das nicht ist, denn wir haben eine perfekte Datenlage und sehr stabile Trends. Wenn dann ein ungewöhnlich starker Arbeitsmarkt oder wegen des Fachkräftemangels eine Zuwanderung für eine kurze Phase den Trend dämpfen, besagt das wegen des exponentiellen Prozesses genau gar nichts.

Die jüngste Schrauberei an dem System lautet: Zuschüsse in das System aus Steuermitteln sowie die sogenannte „Aktienrente“. Das ist aber leicht zu zerlegen: Die Verlagerung auf Steuermittel verändert systematisch gar nichts. Statt der Beitragszahler im Rentensystem sind es dann alle Steuerzahler, was den zugrunde liegenden Prozess nur auf die Gesamtheit der jüngeren Bevölkerung verlagert. Die „Aktienrente“ ist strukturell das, was bereits seit Blüm verlangt wird, denn finanzmathematisch ist klar, was da passiert: Dieses System baut eine Hypothek auf, nennen wir es auch gerne einen Schuldenberg, über den nicht Buch geführt wird und für den auch keine Rücklagen gebildet werden. Die „Aktienrente“ wäre ein richtiger Versuch, solche Rücklagen endlich mal zu bilden, aber sie ist lächerlich klein. An der Stelle wird übrigens erkennbar, dass diese niemals bezifferte Hypothek bereits heute enorm hoch ist, es dürfte inzwischen mehr als ein dreistelliger Milliardenbetrag sein, die Billion haben wir wohl erreicht.

Berechnet wurde das bisher nicht, die dafür zuständige Kommission beschränkt sich auf die Bezifferung des zukünftigen Finanzbedarfs, wenn man das System einfach so weiter führt. Das bildet die Schulden aber auch ab, in dem Fall halt durch zukünftigen jährlichen Finanzbedarf. Vielleicht wäre eine Summe mal plakativer, aber das hat bisher keiner der von der Regierung eingesetzten Mathematiker gemacht. Wegen der letzten Schrauberei, die ja sowohl die Leistungen der Rentner inklusive Rentenalter und Rentensteigerung bestätigte und die Beitragssätze ebenso begrenzte, also ein klassischer Zirkelschluss mehr, führt nun zu einer Eskalation im Bundeshaushalt: Dieses System wird (würde?), so das jüngste Gutachten, bald dazu führen, dass die Hälfte des Bundeshaushalts nur für den Rentenzuschuss erforderlich wird.

Finanzmathematisch und ökonomisch in Klartext heißt das: Deutschland entwickelt sich von einer wachsenden und investierenden Ökonomie in eine primär konsumierende. Mit diesem Rentensystem passiert aber noch etwas wesentlich schlimmeres: Es verspricht uns sogar weiteren Konsum in ferner Zukunft, für den nicht mal Rücklagen gebildet werden. Wir konsumieren also bereits heute unsere Substanz und versprechen uns, das noch sehr lange tun zu können. Ein Verhalten, dass sich nicht nur im Rentensystem beobachten lässt.

Abschließend der interessante Hinweis, dass der „Brandbrief“ der Expertenkommission an Habeck ging. Wer schnell liest und nicht mehr als schlechte Medienaufmachungen wahrnimmt, könnte den mal wieder „schuldig“ sehen. Stimmt aber nicht, er wurde wohl als einziger Hoffnungsträger adressiert. Die jüngste Schrauberei wurde wie die bisherigen zwischen den Ressorts Arbeit/Soziales und Finanzen abgestimmt, hier also die Minister Heil (SPD) und Lindner (FDP). Insgesamt ist dieses Rentensystem maßgeblich von Union und SPD verantwortet und gelegentlich durch die Regierungsbeteiligungen der FDP bestätigt worden. Die Grünen sind leider auch nicht ohne innere Widersprüche unterwegs, aber immerhin hat Habeck einige berechtigte Einwände vorgebracht.

Er wird diesen Brief nach meiner Vermutung sehr genau verstehen, sich aber nicht durchsetzen können.

Die Schrauberei wird sich fortsetzen. Wir werden wohl so lange konsumieren, bis uns in der kurzen Frist auffällt, dass das Geld dafür fehlt. Wenn Europa in der globalen ökonomischen Entwicklung weiter so zurück fällt und einen Zukunftstrend nach dem anderen – Bürokratieabbau, Digitalisierung, Infrastrukturen, Elektrifizierung – versäumt, könnte das sogar schneller kommen, als es das eine oder andere Detailmodell abbildet.

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