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Das „OZG 2.0“ scheitert im Bundesrat – die Fortsetzung der digitalen Erbärmlichkeit deutscher Verwaltungen

Was Google-News unter „OZG 2.0“ liefert, kommt einer Diskussion gleich, ob man in deutschen Verwaltungen zukünftig KI zur Verarbeitung von Faxsendungen einsetzen sollte. Wobei ich übrigens keineswegs ausschließen möchte, dass es genau diese Fragestellung sogar tatsächlich gibt.

Das Kürzel bezeichnet das „Onlinezugangsgesetz“, welches seit einigen Dekaden für die geballte Kraft der Digitalisierung von Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen steht. In der Substanz beabsichtigt (richtig gelesen, eine Absicht, seit 20 Jahren) dieses „Vorhaben“, Bürgern und Unternehmen die Möglichkeit zu geben, Verwaltungsvorgänge „digital“ vorzunehmen. Konkret heißt das: Wir sollen alles „digital“ einreichen können. Großzügig könnte man das die Digitalisierung von Formularen nennen, mit der Digitalisierung von Prozessen hat das ungefähr so viel zu tun wie das Kläffen eines unerzogenen Dackels mit einer Partitur von Johann Sebastian Bach.

Nun wird dieses Kläffen, sorry, diese Absicht, also dieses Onlinezugangsdingsdabumms seit einigen Dekaden: Nicht erreicht. Gemeint ist das Gesetz, nicht dessen Umsetzung. Wie auch, denn die kann natürlich erst nach dem Gesetz erfolgen, warum sollten Verwaltungen ohne gesetzliche Vorgabe auch so etwas wie digitale Formulare „erfinden“.

Spannend ist die „Genese“ dieses Dingsbumms, die sich über Zuständigkeiten nahezu aller Ministerien und verschiedenste „Federführungen“ erstreckt. Es waren wohl keine Federn, eher so etwas wie Instrumente für Keilschriften. Meist lag es tatsächlich in der „Hoheit“ des Innenministeriums, derzeit internen Quellen folgend besonders agil und kompetent besetzt. Wenn man sich dort nicht gerade um die Frage kümmert, wie Desinformationskampagnen, Hassrede und abgedrehte Echokammern nebst deren Manipulation durch ausländische Geheimdienste und alle möglichen politischen Interessen zu verhindern sind (Übersetzung: Wie man die vielleicht erst mal verstehen könnte), hat man vermutlich auch etwas Zeit für die „Weiterentwicklung“ des OZG-Dingsdabumms, die man dann in der typischen politischen Kommunikation zuerst mal mit einer „2.0“ versieht.

Die Ressortchefin sagt dazu, ich zitiere, „unser Land“ brauche „mehr digitalen Fortschritt“. Die semantische Bedeutung der Begriffe „mehr“ sowie „Fortschritt“ kann sie vielleicht bei ihrer Kollegin für Forschung und Bildung  erfragen, sofern diese nicht gerade damit ausgelastet ist, Deutschland bei der Kernfusion ganz nach vorne zu bringen. Die Ministerin sagt dies anlässlich der brutalen Erkenntnis, dass diese 2.0-Dingsda-Vorlage ihres Hauses im digitalen Jahre des Verwaltungsherrn 1924 nun im Bundesrat abgelehnt wurde. Der „digitalpolitische Sprecher“ der Unionsfraktion, der ausnahmsweise nicht Spahn heißt, sondern Brandl, aus dem Modernisierungsarm der Union (CSU) stammend, begründet die Ablehnung damit, die „Verwaltungsdigitalisierung“ könne nicht „an den Ländern vorbei“ erfolgen, die Ampel zeige „Unkenntnis der föderalen Ordnung“.

Nun hatte dieser 2.0-Wumms in der Tat einige föderal wohl „prekäre“ Dinge gefordert, von einheitlichen Datenstrukturen und gemeinsamen Schnittstellen war da die Rede. So etwas steht in Programmiererhandbüchlein ungefähr seit 1955, was sogar vor der Geburt des seit 40 Jahren mit Digitalisierung befassten und in Deutschland geringfügig frustrierten Autors dieser Zeilen gewesen sein muss. Aber föderal geht das natürlich nicht, da sind Datenstrukturen und Schnittstellen gewiss Ländersache. Wie wir in Corona-Zeiten gelernt haben, reklamiert so mancher Leiter eines örtlichen Gesundheitsamts das sogar für sich – äh, für sein Amt, sorry dafür.

Nun darf man mit etwas Erfahrung im Leben den Akteuren in diesem Theater nicht einfach nur Dummheit vorwerfen – die Betonung liegt auf „nur“. Es dürfte einige geben, die sehr wohl verstanden haben, welche Folgen so etwas wie Digitalisierung bereits in der Ausprägung 0.1 bedeutet. Will man nämlich Prozesse digitalisieren, muss man sie zuerst präzise definieren und daraus eine Spezifikation für die IT ableiten. Typischerweise merkt man dabei zwei Dinge: Erstens kann man das oft nicht und zweitens fällt dabei auf, dass viele Prozesse schlicht weg müssen. Ab einem gewissen „Zustand“ des fraglichen „Systems“ findet man ferner den „Greenfield-Ansatz“: Besser neue Prozesse definieren, statt aus scheiß Prozessen scheiß digitale Prozesse zu machen.

So etwas führt zu einem dramatischen Verlust an Macht, einem oft ungewollten Zugewinn an Transparenz und Kontrollierbarkeit durch Dritte. Gegenmaßnahme der Entscheidungsträger: Heuchelei über Personalabbau. Daran scheitern selbst Unternehmen, dieses föderale politische System ist erkennbar und nicht überraschend vollkommen unfähig dazu. Ein Unternehmen in diesem Zustand wäre natürlich längst untergegangen. Bei Staaten muss historisch belegt das Maß der Dysfunktion sehr hoch werden, bevor das passiert. In früheren Zeiten kam es dabei oft zum Zugriff von außen, unfreundliche Übernahmen sind nicht nur Unternehmen vorbehalten. So ganz vorbei ist das in Europa bekanntlich nicht. Wenn es dazu nicht kommt, muss der interne Kontrollverlust durch die dysfunktionale Fähigkeit des Staats zur operativen Umsetzung vermutlich sehr weit gehen, bis so etwas implodiert.

Eine andere Lösung als die Implosion fällt mir nach 40 Jahren für dieses Verwaltungswesen nicht mehr ein.

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