Der substanzielle Teil der Energiewende sind Wärme- und Mobilitätswende. Richtig ist, dass dazu auch seitens der Strom-Erzeugung, vor allem aber seitens der Netze neue und mehr Infrastrukturen erforderlich sind, deren Fortschritt unter Plan läuft – aber existiert. Viel mehr fehlt jedoch der Fortschritt und noch viel mehr der Wille (!!) bei den weit umfangreicheren Infrastrukturen dahinter, also Wärmepumpen, Wärmenetze, E-Mobilität etc. Den Großteil dieser Transformation haben übrigens entgegen der gängigen Wahrnehmung der Privatsektor und der Staatssektor selbst zu leisten. Die Industrie ist an der Stelle gar nicht der Engpass, denn sobald bessere und günstigere Lösungen verfügbar sind, wird hier komplett rational umgestellt.
Statt über das Ganze und seine diversen Komponenten, die dringend ineinander zu greifen haben, zu diskutieren, wird aber gerne wahlweise über singuläre Einzelziele diskutiert, bevorzugt so, dass sie als zu teuer, nicht machbar, illusionär, nicht lohnend zerredet werden. Das war beispielsweise der m.E. falsche, in der Substanz vor allem aber irrelevante Atomausstieg, die Bedeutung der Frage, ob Deutschland netto 1,8% Strom ex- oder importiert, wie oder ob man 10.000 weitere Onshore-Windkraftanlagen aufstellen kann, der Kohleausstieg oder jetzt der Netzausbau.
Methodisch wird dabei diskutiert, ob dieses oder jenes in 25 Jahren zu 100% funktionieren kann oder ob das zu teuer wird, was übrigens bevorzugt ohne jeden Vergleich einer anderen Energieversorgung behauptet wird. Sehr gerne wird dabei abgeleitet, das sei alles nicht im Griff, nicht sicher und in der Folge seien Standort, Wohlstand, Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit gefährdet. Falls überhaupt mal Alternativen ins Spiel gebracht werden, sollen ein paar neue Atomkraftwerke gebaut, eigenes Fracking errichtet, Kohle plus CO2-Abscheidung eingesetzt werden oder E-Fuels in größeren Mengen vom Fusions-Himmel fallen. In der vollständig rechtspopulistischen Ecke wird verlangt, den alten Gasdeal mit Gazprom&Co wieder zu errichten, das ist sogar der wenigstens ehrliche Teil der Sache.
Wenn sich diese offensichtliche Vernebelungs- und Verhinderungsstrategie in Politik und Öffentlichkeit weiter so erfolgreich entwickelt, wird im Ergebnis vor allem die Elektrifizierung scheitern. Der Stromsektor insgesamt wird dann viel zu klein bleiben, schlimmstenfalls werden für die letzten 20% der Stromerzeugung weiter fossile Kraftwerke, vermutlich auch ein paar Kohlekraftwerke laufen. Dann kann über deren CO2-Ausstoss gestritten und diese dystopische Kakofonie fortgesetzt werden, während der wesentliche CO2-Ausstoss weiter im Wärme- und Mobilitätsektor passiert. Genau das ist natürlich die treibende Kraft dahinter, denn es geht hier nicht um die Interessen von Klima- oder Atomlobby, sondern um den Erhalt von öl- und gasbasierten Geschäftsmodellen, deren Lobby weitaus die potenteste ist. Wer weiter Kraftstoffe verkaufen will, erzählt den Leuten, man brauche keine Netze, sondern ein paar Atomkraftwerke. Perfekte Story, denn das eigentliche Ziel muss dabei nicht mal erwähnt werden.
Fürs Klima ist das nicht gut, aber auch nicht entscheidend. Dessen Schicksal wird bestimmt durch die Frage, ob China seinen Weg fortsetzt und mit einer strategischen Energie- sowie Elektrifizierungsstrategie zum innovativsten und wettbewerbsfähigsten Industriestandort aufsteigt, ob die USA dem folgen und ob Indien das dann ebenfalls macht. Derzeit spricht sehr viel dafür, dass genau das passieren wird. Wer sich global in der Energie- und auch in den vielen Folgetechnologien bewegt, kann diesen durchaus optimistischen Eindruck gewinnen.
Für Europa besteht die wesentliche Gefahr, nach der Digitalisierung nun auch noch die Elektrifizierung zu versäumen. Wenn man sich in Europa bewegt, ist diese Gefahr übrigens in Deutschland, ausgerechnet dem führenden Industriestandort, momentan sogar höher als in anderen Volkswirtschaften des Kontinents. Es geht tatsächlich um unsere ökonomische Zukunft, gerne mit Standortfragen, Wettbewerbsfähigkeit oder Wohlstand bezeichnet.
Wenn die fossile Lobby unsere Strategie dominiert, werden unsere Industrieanlagen, Gebäude und Fortbewegungsmittel in einigen Dekaden wie die alten Zechen im Ruhrgebiet zu Museen und Eventpalästen. Kann man machen. Nach Neuschwanstein und Oktoberfest weitere Attraktionen für internationalen Tourismus. Historische Illusionen und kollektives Besaufen als Geschäftsmodellinnovation.