s2

Die Energiepreise beschäftigen uns weiter – nicht aber die Ursachen oder gar Lösungen

Komplexe Systeme neigen dazu, dass es keine linear funktionierenden Maßnahmen gibt. Letztlich sind alle Eingriffe gegenläufig. Damit muss man umgehen, das ist nicht zu verhindern. Jeder Autofahrer beherrscht das, denn ohne leicht oszillierende Lenkbewegungen lässt sich ein Auto nicht mal auf einer Geraden halten. In unserer Ökonomie scheint das immer weniger zu gelingen. Wenn man die aktuelle Nachrichtenlage wahrnimmt, fühlt man sich wie im real gewordenen Irrsinn.

So erhöht die EZB wegen der Inflation die Zinsen, viele feiern das, fordern gar mehr. Wie das den Treiber Energiepreise sowie die Lieferketten beruhigen soll, ist wo genau erklärt? Durch eine Rezession etwa – oder gar eine Deindustrialisierung, von der so viel geredet wird? Themen, die am stärksten von denen bemüht werden, die sich ganz besonders für eine strikte Zinspolitik einsetzen.

Der unmittelbar klarste Einfluss der Zinswende ist der Einbruch des dringend notwendigen Neubaus von Häusern und Wohnungen. Das führt kurzfristig zu Rückgängen bei Immobilienpreisen, wirkt sich aber nicht auf die Mieten aus und der Wohnungsmangel wird weiter steigen, was mittelfristig die Preise für Immobilien und Mieten zwingend treibt. Nun wird staatliches Geld gefordert, um gegenzusteuern. Geldentzug und Zuschuss zugleich – das muss man mögen, um es zu ertragen.

Hinzu kommt die Entschärfung von energetischen Standards. Dabei sind Energiepreise einer der Inflationstreiber. Zugleich ist immer weniger Geld für Energiesparmaßnahmen vorhanden. Von der Altbausanierung bis zum Neubau – den Bürgern sind die Kosten nicht zuzumuten, der Staat kann nicht helfen, Kredite werden teurer. Dabei sind das keine „Kosten“, sondern Investitionen, die durch niedrigere Energiekosten rentieren – und damit übrigens dem Treiber Energiepreise den Hebel nehmen. Aber dafür ist also nichts in der Kasse?

Trotzdem werden parallel Steuern und Abgaben auf Energie gesteigert, damit die Sparmaßnahmen dann doch mal einsetzen. So soll beispielsweise die Mehrwertsteuer auf Gas wieder angehoben werden und der CO2-Preis weiter steigen. Da die Energiepreise damit aber immer unerschwinglicher werden, fordern Experten bereits jetzt Nachfolgeprogramme für die auslaufenden „Preisbremsen“. Also preistreibende und preissubventionierende Maßnahmen gleichzeitig – kann man das noch mögen?

Was das alles für die Inflation bedeutet, kann niemand mehr voraussagen. Warum ausgerechnet die Zinspolitik der Notenbank in diesem wirren System angeblich ein wesentliches „Steuerungsinstrument“ für die Inflation sein soll, kann man kaum noch nachvollziehen.

Die eigentlichen Ursachen werden kaum erkannt, geschweige denn systematisch angegangen. Das scheint im politisch/gesellschaftlichen Zirkus unmöglich, es gibt zu viele positive Interessen an den Problemen. Die einen verdienen daran, die anderen nutzen sie politisch.

Eines der größten Probleme Europas ist die Gasversorgung. Der Deal mit dem russischen Pipelinegas war der größte energie- und geopolitische Fehler seit dem zweiten Weltkrieg. Parallel zur Fracking-Strategie der Amerikaner hat Europa sich aus Russland versorgen lassen – Deutschland ganz vorne dabei. Gas wurde zu dem strategischen Energieträger ausgebaut, für die Industrie, für die Haushalte. Es kam zu global wettbewerbsfähigen Konditionen. Aber es kam nicht aus Eigenproduktion – wie bei den Amerikanern. (Siehe dazu auch: Der Beginn der Gazprom-Geschäfte, Die Gazprom-Lobby, https://dirkspecht.de/2022/04/die-causa-gas-bleibt-schwierig/)

Jetzt bezieht Europa das Gas überwiegend aus den globalen LNG-Märkten und da herrschen andere Kosten, Preise sowie gänzlich andere Preisunsicherheiten. Bereits die Abhängigkeit vom globalen Ölmarkt ist eine riskante Hypothek, der viel engere und mit deutlich geringeren Speicherkapazitäten ausgestattete LNG-Markt ist noch riskanter. Die fossilen Importe werden für Europa endgültig zum Standortrisiko Nummer 1.

Wir sehen beim Gas nichts geringeres als eine Anhebung unseres langfristigen Preisniveaus um Faktor 2 bis 3, bei massiv gewachsenen Preisschwankungen, weshalb inzwischen langfristige Preise nochmals höher als die kurzfristigen Spotpreise sind. Als Verbraucher muss man zwischen heftigen Preisschwankungen oder nochmals teureren längerfristigen Preisen wählen.

Diese Vervielfachung des Preises unseres wichtigsten Energieträgers ist noch gar nicht in unseren Haushalten und unserer Industrie vollständig angekommen. Die „Preisbremsen“ und die älteren Lieferverträge haben das verhindert. Der eigentliche Schock kommt also noch. Parallel zeigt die OPEC+, dass sie sogar bei schwacher globaler Konjunktur zur Durchsetzung höherer Ölpreise in der Lage sind.
Was wäre dagegen zu tun? Nun, eine nationale Anstrengung, insbesondere bei einfachen Wärmeanwendungen das Gas so schnell wie möglich raus zu werfen, wäre naheliegend. Ebenso müsste man nicht so dämlich sein, den Gaspreis auch noch den Strompreis dominieren zu lassen. Ein Großteil des Öls wird längst in Anwendungen verbrannt, für die es bereits elektrische Alternativen gibt, hier ist eine Substitution keine Frage der Machbarkeit, sondern des Machens. In der Industrie wäre es sinnvoll, auch heutige Hochtemperaturprozesse zu elektrifizieren. Von Lasertechnologie zum Schweißen bis zu neuen Formen der Stahl- und Zementerzeugung. Innovationen für den eigenen Bedarf und für den Weltmarkt.
Was tun wir dagegen? Wir beschädigen Wärmepumpen, streiten über Kernenergie, moppern über Reichweiten von E-Autos, verhindern die Eigenproduktion von Energie und täglich taucht irgendeiner auf, um entweder steigende Zinsen, Sparhaushalte oder irgendwelche Fördermaßnahmen für dies und das zu fordern. Zugleich gilt alles nicht fossile als zu teuer, das gefährdet angeblich unseren Wohlstand – und so sollen wir munter weiter für einen zweistelligen Milliardenbetrag jährlich importieren. Die ganz abgedrifteten werben gar damit, man müsse das mit russischen Lieferungen wieder auf die Reihe bekommen, den größten Fehler seit 70 Jahren also unbedingt wieder installieren.
Anstrengend.

Beitrag teilen:

Ähnliche Beiträge