Komplexe Systeme neigen dazu, dass es keine linear funktionierenden Maßnahmen gibt. Letztlich sind alle Eingriffe gegenläufig. Damit muss man umgehen, das ist nicht zu verhindern. Jeder Autofahrer beherrscht das, denn ohne leicht oszillierende Lenkbewegungen lässt sich ein Auto nicht mal auf einer Geraden halten. In unserer Ökonomie scheint das immer weniger zu gelingen. Wenn man die aktuelle Nachrichtenlage wahrnimmt, fühlt man sich wie im real gewordenen Irrsinn.
Der unmittelbar klarste Einfluss der Zinswende ist der Einbruch des dringend notwendigen Neubaus von Häusern und Wohnungen. Das führt kurzfristig zu Rückgängen bei Immobilienpreisen, wirkt sich aber nicht auf die Mieten aus und der Wohnungsmangel wird weiter steigen, was mittelfristig die Preise für Immobilien und Mieten zwingend treibt. Nun wird staatliches Geld gefordert, um gegenzusteuern. Geldentzug und Zuschuss zugleich – das muss man mögen, um es zu ertragen.
Hinzu kommt die Entschärfung von energetischen Standards. Dabei sind Energiepreise einer der Inflationstreiber. Zugleich ist immer weniger Geld für Energiesparmaßnahmen vorhanden. Von der Altbausanierung bis zum Neubau – den Bürgern sind die Kosten nicht zuzumuten, der Staat kann nicht helfen, Kredite werden teurer. Dabei sind das keine „Kosten“, sondern Investitionen, die durch niedrigere Energiekosten rentieren – und damit übrigens dem Treiber Energiepreise den Hebel nehmen. Aber dafür ist also nichts in der Kasse?
Trotzdem werden parallel Steuern und Abgaben auf Energie gesteigert, damit die Sparmaßnahmen dann doch mal einsetzen. So soll beispielsweise die Mehrwertsteuer auf Gas wieder angehoben werden und der CO2-Preis weiter steigen. Da die Energiepreise damit aber immer unerschwinglicher werden, fordern Experten bereits jetzt Nachfolgeprogramme für die auslaufenden „Preisbremsen“. Also preistreibende und preissubventionierende Maßnahmen gleichzeitig – kann man das noch mögen?
Was das alles für die Inflation bedeutet, kann niemand mehr voraussagen. Warum ausgerechnet die Zinspolitik der Notenbank in diesem wirren System angeblich ein wesentliches „Steuerungsinstrument“ für die Inflation sein soll, kann man kaum noch nachvollziehen.
Die eigentlichen Ursachen werden kaum erkannt, geschweige denn systematisch angegangen. Das scheint im politisch/gesellschaftlichen Zirkus unmöglich, es gibt zu viele positive Interessen an den Problemen. Die einen verdienen daran, die anderen nutzen sie politisch.
Eines der größten Probleme Europas ist die Gasversorgung. Der Deal mit dem russischen Pipelinegas war der größte energie- und geopolitische Fehler seit dem zweiten Weltkrieg. Parallel zur Fracking-Strategie der Amerikaner hat Europa sich aus Russland versorgen lassen – Deutschland ganz vorne dabei. Gas wurde zu dem strategischen Energieträger ausgebaut, für die Industrie, für die Haushalte. Es kam zu global wettbewerbsfähigen Konditionen. Aber es kam nicht aus Eigenproduktion – wie bei den Amerikanern. (Siehe dazu auch: Der Beginn der Gazprom-Geschäfte, Die Gazprom-Lobby, https://dirkspecht.de/2022/04/die-causa-gas-bleibt-schwierig/)
Wir sehen beim Gas nichts geringeres als eine Anhebung unseres langfristigen Preisniveaus um Faktor 2 bis 3, bei massiv gewachsenen Preisschwankungen, weshalb inzwischen langfristige Preise nochmals höher als die kurzfristigen Spotpreise sind. Als Verbraucher muss man zwischen heftigen Preisschwankungen oder nochmals teureren längerfristigen Preisen wählen.