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Deutschland ringt um etwas trivial notwendiges – Investitionen

Der Denk- und Entscheidungselite Deutschlands wird so ganz ganz langsam klar, dass das Land Investitionen benötigt. Dringend würde man gerne dazu sagen, wenngleich die Eilbedürftigkeit den Sachbeiträgen kaum zu entnehmen ist.

Nun wurde das durch den Merz´schen Strategietritt mitten in die operationelle Zentrale der Regierung, nämlich deren Ressourcen, Geld für Investitionen zu beschaffen, vorsichtig formuliert nicht gefördert. Hinter den Kulissen war aber umso klarer, dass eine Lösung her muss. Habeck hatte ein „Sondervermögen“ mehr im Sinn, also eine verfassungskonforme Erhöhung der Schulden für die Finanzierung von Förderprogrammen. Lindner hat das – Regierungen klären Ihre Entscheidungen neuerdings öffentlich – vor dem Bundestag gekontert. Wir kennen das: Keine Schulden, solide Haushalte, keine Subventionspolitik. Merz selbst hat sich dazu immer „ambivalent“ geäußert, denn eine Ausweitung wirtschaftspolitischer Maßnahmen fordert er schon lange, wie das finanziert werden soll, erläuterte er vor allen in den letzten zwölf Monaten seiner öffentlichen Finanzknebelung: Nicht. Etwas konsequenter und nicht überraschend positioniert sich der Verwalter des vakanten Bundeskanzleramts, Scholz: Gar nicht.

Da einseitige Kritik an etablierter und mit Restverstand wählbarer Politik oft schief geht, sei anekdotisch erwähnt, dass seitens der AfD die sachdienlichen Vorschläge kommen, der Staat müsse mit weniger Steuern auskommen, russische geostrategische „Energiesubventionen“ wieder errichten, diese in Form fossiler Kraftstoffe weiter verbrennen, ein Drittel unserer Arbeitskräfte ausweisen, uns kulturell komplett isolieren und durch einen EU-Austritt ohnehin alles viel besser machen. Noch kürzer ist diese neue, einen singulären Personennamen tragende, sich zugleich aber als „Bündnis“ bezeichnende Partei, deren wesentliche Kernbotschaft lautet, man müsse alles friedlicher, besser, gerechter und wohlständiger machen. Zu lästigen Umsetzungsdetails ist das Bündnis bisher nicht gekommen, aber man kann sich immerhin vorstellen, dabei mit der AfD zusammenzuarbeiten. Dystopie plus bunte Knete ist also das Gesamtangebot. Willkommen bei den politischen Alternativen.

Interessant ist die öffentliche Debatte zur Lage der Nation. Wir sehen alle die Folgen auf so vielen Ebenen, dass niemand behaupten kann, nichts davon zu erkennen. Von maroden Brücken über schimmelnde Schulen oder Krankenhäuser bis zu schlecht isolierten Häusern, nicht mal Drittweltstandards erreichende Kommunikationsnetze oder das öffentliche Nichtverkehrswesen, wer behauptet, den Investitionsrückstau von Staat, Unternehmen und Privatsektor nicht zu sehen, sollte bei der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit beginnen, bevor er irgendein anderes Thema bemüht.

Trotzdem setzt sich aber die Kommentierung der oben genannten Statements unserer Politiker fort. In der Ökonomen-Klasse wird über Subventionswettlauf und Schuldenbremse gestritten, in der SocialMedia-Holzklasse folgt man dem jeweiligen Parteivorbild und reduziert sich auf die jeweilige Allquantorregelung „keine Schulden, keine Subventionen“ oder „viele Schulden, viele Subventionen“.

Zur ökonomischen Einordnung der politischen Vordenker, die leider nicht als Nachdenker erkennbar sind, sei darauf hingewiesen, dass direkte staatliche Fördermittel (Modell Habeck) oder Steueranreize (Modell Lindner/Merz) gleichermaßen Subventionen sind, die den Staatshaushalt belasten und bei gleichzeitiger Wahrung eines verfassungskonformen Haushalts (Sozialpolitik, Klimapolitik) mit der Schuldenbremse nicht vereinbar sind bzw. – wie es das Verfassungsgericht klar gemacht hat – den Bundestag als Entscheider herausfordern, das alles zusammen zu bringen.

Nun wäre dies ein launiger Sonntagskommentar, wenn nicht zugleich der mit dem Fachbegriff „Rest der Welt“ bezeichnete, geringfügig größere und relevantere Teil des Planeten in den letzten Jahrzehnten einige Bewegungen vollzogen hätte, die sich bei gleichzeitigem Rückwärtsgang unserer Denk- und Handlungsweise zunehmend als wachsender Abstand bemerkbar macht.

So erntet, ich berichtete vorgestern kurz dazu, die USA derzeit die führende, ex-China fast schon Alleinrolle der Digitalisierung ein. Ferner fällt auf, dass seit der Finanzkrise da eine Schere aufgeht, weshalb man über Schulden, Finanzierungsgrundlagen und Investitionstätigkeit nach nun mehr als 14 Jahren vielleicht mal einige angeblich wichtige Grundsätze der „Solidität“ und „Sicherheit“ in Frage stellen sollte.

Zusätzlich erleben wir, dass diverse, übrigens öffentlich verkündete, Mehrjahrespläne der Chinesen aufgehen. Energieerzeugung, Elektrifizierung, effiziente Produktion, Automatisierungstechnologien, elektrische Endprodukte – „plötzlich“ Domänen der Chinesen, die viele immer noch als Werkbank des „Westens“ mit miesen Sozial- und Umweltstandards sehen.

Ach ja, was kommen da immer für schöne Kommentare. Die Kapitalisten aus den USA mit ihrer gesellschaftlichen Ausbeutung oder die Autokraten aus China mit ihrer gesellschaftlichen Unterdrückung. Wer will da schon leben, wer will diese Nachteile haben. Spannende Themen, aber hier nicht! Das mögen Systeme sein, die man nicht haben will, nicht mal Widerspruch meinerseits, aber als überzeugter Europäer, der ich bin, weise ich freundlich darauf hin, dass diese Systeme einige Mechanismen nutzen, die uns mehr als erheblich herausfordern, die grundsätzlich nicht mal etwas mit den kritisierten Nachteilen zu tun haben und auf die wir schlicht Antworten zu finden haben. Denn: Europa war bis vor wenigen Jahren der größte Wirtschaftsraum der Erde, jedoch seit vielen Jahrzehnten bereits schleichend ein militärischer Zwerg. Wenn das so weiter geht, muss man in Europa nicht mehr darüber nachdenken, ob man Werte, Kultur, Weltfrieden oder Welthandel irgendwie mitgestalten kann. Muss man vielleicht auch nicht, selbst das wäre zu diskutieren, aber es ist erkennbar, dass das „Auswärtsspiel“ mehrere Jahrhunderte langsam zu einem „Heimspiel“ mit ungleichen Mitteln wird. Wer dabei noch von Wohlstand in Europa träumt, sollte sich bitte an Antworten auf diese Herausforderungen beteiligen und nicht über die Systeme lamentieren, die uns diese auferlegen!

Ganz so simpel geht es übrigens bei den Amerikanern gar nicht zu. Dort gibt es als „Kontrast“ zu unserer Denkelite Menschen wie die Professorin Janet Yellen, die sich neue Dinge ausdenken. Sie gilt als – sehr kluger! – Kopf hinter dem „Inflation Reduction Act“, der laut unserem ökonomischen Sachverständigenrat nicht überschätzt werden und Europa keineswegs in einen „Subventionswettlauf“ führen sollte.

Wenn man die germanische Denklagerbildung mal zusammenfasst, wird man hier etwas Interessantes feststellen: Yellen hat wohl erkannt, dass Steueranreize spieltheoretisch besser funktionieren als direkte Subventionen. Es ist zwar angesichts unseres Selbstbildes rationaler Wesen erstaunlich, aber wir reagieren ganz ordentlich, wenn man uns für eine gewünschte Leistung bezahlt, aber wir fangen an zu rennen, wenn das Versprechen lautet, uns für eine gewünschte Leistung weniger von etwas wegzunehmen, was wir sogar noch gar nicht haben. Es gibt daher gute Gründe, Steueranreize den direkten Förderungen vorzuziehen.

Nachteil ist jedoch, dass davon nur diejenigen profitieren, die hohe Steuern zahlen und dass es auch nur diejenigen realisieren können, die bereits Investitionsmittel besitzen oder diese zumindest erlangen können. Das ist übrigens ein Grund, weshalb gewisse Kreise in Europa so besonders gerne auf Steueranreize verweisen, denn ohne die Kapitalmärkte und Finanzierungsmärkte wie in den USA perpetuiert man damit die Vorteile derer, die heute schon welche haben. Das kann man so machen, ökonomisch hat es Vor- und Nachteile, bestehende Stärken weiter zu betonen, aber Innovationen sollte man so nicht erwarten – und in Phasen, in denen beispielsweise neue Technologien zu Disruptionen führen, kann das mit den Nachteilen alles andere überwiegen.

Auch das scheint Yellen klar zu sein, daher hat sie bei den Steuervorteilen, die der IRA verspricht, festgelegt, dass man sich die erwarteten Steuergutschriften der Zukunft sogar vorab auszahlen lassen kann. Der Staat liefert also den Anreiz und die Finanzierung zum Nullzins gleich mit. Damit hat Yellen das Kreditproblem gelöst und die Rolle des Finanzsektors sowie dessen diskussionswürdigen Anteil an der Wertschöpfung des Programms zumindest reduziert. Das zudem in einer Ökonomie, in der die Kreditversorgung für Unternehmen jeder Größenordnung sowie jeden Alters weitaus besser funktioniert, als bei den europäischen Regulierungsweltmeistern mit ihrem sparsamen Denken.

Ein grundsätzlicher Nachteil staatlicher Subventionen, egal, ob die nun über Fördermittel oder Steueranreize erfolgt, liegt natürlich in den vielen Sachentscheidungen im Detail. Was wird gefördert, was nicht, wofür wird das Geld eingesetzt, wofür nicht, wer profitiert, wer nicht.

Das machen die Europäer gerne auf Ebene der Politik und zwar in Einzelentscheidungen. Die Franzosen lieben ihre Kernenergie, die Deutschen ihre Windräder (deren Bau sie bürokratisch nicht vom Fleck bekommen), die einen mögen Wasserstoff, die nächsten Chipfabriken, aber nicht jede, wieder andere setzen auf Batterien oder PV-Produktionen, ganz technologieoffene wollen 90% Energieverschwendung via E-Fuels – um nur einen kurzen Ausschnitt der endlosen, gerade aktuellen Liste zu nennen. Besonders dysfunktional wirkt das übrigens, wenn beim nächsten Regierungswechsel immer sehr zuverlässig das in die Tonne kommt, was zuvor gesät wurde, um dann neue Pflänzchen auf die gewiss kurze und teure Reise zu schicken.

Auch das hat Yellen wohl erkannt und die einzelne Entscheidung schlicht in die Hände von Unternehmern gelegt, die klären sollen, wie viel Geld sie für welche Investition in die Hand nehmen. Was aber erforderlich ist: Sie hat die Wirkung klar definiert, die von den Investitionen ausgehen und wer diese Wirkung nachweisen kann, bekommt die Steuergutschrift. Sie hat dabei übrigens keine Grenzen gesetzt, sondern dem privaten Kapital schlicht zugerufen: Weise mir nach, dass du drei Dollar so einsetzt, dass die gewünschte Wirkung einsetzt und ich gebe dir einen davon zurück – naja, ich nehme dir zukünftig einen weniger wieder ab und den darfst du als zinsloses Darlehen sogar schon haben.

Die gewünschte Wirkung ist nichts geringeres als der Nachweis einer kompletten Wertschöpfungskette in der US-Wirtschaft, von den Zulieferungen bis zum Konsumenten. Das soll dann auch noch etwas mit moderner Energieerzeugung, Elektrifizierung und entsprechenden Endprodukten für die Konsumenten zu tun haben.

Wirtschaftshistoriker werden zukünftig mal ausrechnen, was das Programm bringt und ob es den Staat überhaupt Geld kostet. Die ersten Überlegungen liegen vor: Goldman Sachs vermutet, dass bis zu drei Billionen Dollar Investments zustande kommen und die ersten Realdaten zeigen, dass die Amerikaner wie nie zuvor neue Fabrikationsstätten aufbauen.

Es ist vielleicht das wirksamste Re-Industrialisierungsprogramm seit dem zweiten Weltkrieg und wenn es das ist, dürfte es dem Staat sehr viel Geld einbringen.

Wir brauchen kluge Leute, die kluge Debatten in Gang bringen, die unsere tiefere Ursache der Rückständigkeit und Innovationsfeindlichkeit beseitigen: Unser Denken.

 

 

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